Christian Zeller, 8. Oktober 2017.
Die SPÖ und die sogenannte neue ÖVP liefern sich in diesen Wochen eine absurde Schlammschlacht, die hoffentlich die Glaubwürdigkeit des etablierten Politikbetriebs und der professionellen PolitikdarstellerInnen weiter schwächen wird. Auf jede Absurdität folgt eine weitere Verirrung, die noch eine zusätzliche irre Wendung hinzufügt. Was ist die inhaltliche Substanz dieser gegenseitigen Beschuldigungen? Wir suchen vergeblich. Die Schlammschlacht ist geradezu Ausdruck der programmatischen Leere und des Versuchs eine politische Debatte zu verhindern. Dahinter verbirgt sich eine weitergehende Krise der Repräsentation. Wen und was repräsentieren die sogenannten Volksparteien? Die Antworten darauf verlieren sich zunehmend hinter dem stinkenden Rauch der lodernden Feuer, in die die Hilfstruppen der Galionsfiguren immer weiteres altes Öl gießen. Doch diese armselige Farce der politischen Kaste droht nur das Vorspiel einer autoritären Wende mit einer massiven Verschärfung des Klassenkampfes von oben gegen unten zu sein. Das stellt alle, die für einen solidarischen Bruch und Aufbruch einstehen vor große Herausforderungen.
SPÖ: normaler Teil der Politkaste
Bundeskanzler Kern und sein Team scheinen der eigenen SPÖ-Führung und dem Funktionärsapparat der Partei nicht zugetraut zu haben, noch in der Lage zu sein, einen ordentlichen Wahlkampf zu führen und hierbei die eigene Basis aktiv zu beteiligen. Da sie nicht mehr wissen, wie das geht und die Kontakte zur ihrer ehemaligen Basis brüchig wurden, haben sie sich in ihrer Not auf die Künste sogenannter Politik- und Medienberatungsunternehmen verlassen und haben damit ihre Regierungsambitionen und ihre Orientierung überhaupt den Mechanismen dieses Geschäfts unterworfen.
Das drückt ein tiefliegendes Problem aus. Die SPÖ hat die sozialen Bindungen in die Stadtteile, in den Gemeindewohnbau, in die Betriebe und zur ehemaligen gewerkschaftlichen Basis verloren. Die Parteiexponenten sind ein Teil der politischen Kaste. Sie unterscheiden sich darin kaum von den Spitzen der ÖVP und FPÖ. Anstatt einen aktiven Wahlkampf mit einem klaren Programm im Dienste der Lohnabhängigen zu führen und damit zumindest zu versuchen, sich wieder aktiv eine soziale Basis zu erarbeiten, verschreibt sich die SPÖ, ebenso wie ihre Gegenspieler, der Logik des Politmarketings.
Die SPÖ hat sich bereits vor langer Zeit in eine strategische Sackgasse manövriert. Sie will um jeden Preis mitregieren. Mit Regierungsfunktionen sind unzählige Jobs verbunden, die man verteilen und damit Loyalität herstellen kann. Eine Partei erfüllt ihre Rolle als Jobverteilungsmaschine allerdings nur, wenn sie auch was zu verteilen hat. Nicht wenige SPÖ-Funktionäre ließen sich in den letzten Monaten zitieren, das zentrale Ziel sei zu regieren. Aber wofür und für wen? Die programmatische Auseinandersetzung über erwünschte gesellschaftliche Entwicklungen hat sich längst zu einem inhaltslosen Schauspiel langweiliger PolitikdarstellerInnen entwickelt. Sind erstmal die Regierungsämter im Staat, in den Bundesländern und Gemeinden weg, droht der Erosionsprozess sich weiter zu beschleunigen. Die ÖVP zeigt mittlerweile klar, dass sie eine härtere antisoziale Politik verfolgt und dieses Projekt mit der FPÖ verfolgen will. Darauf verbreiteten Teile der SPÖ-Führung, dass unter bestimmten Bedingungen auch eine Koalition mit der FPÖ vorstellbar sei. Eine fundierte Debatte über die Natur und sich annähernden Projekte der ÖVP und der FPÖ fand aber nicht statt. Damit hat die SPÖ auch noch das letzte schwache Argument sie zu wählen, nämlich die Regierungsbeteiligung der FPÖ zu verhindern, aus der Hand gegeben.
Wofür steht die SPÖ ein? Wenn sie wirklich die früher erkämpften sozialen und demokratischen Errungenschaften verteidigen wollte, müsste sie sich der kapitalistischen Profit- und Konkurrenzlogik entgegen stellen, zumindest teilweise. Das macht sie aber bereits seit langer Zeit nicht mehr, nicht einmal ansatzweise. Sie ist längst keine soziale Reformpartei mehr, sie wurde zu einer Herrschaftspartei und einer ganz normalen Partei der Politkaste, genauso wie ihre Rivalen. Nun scheinen die Herrschenden in diesem Land aber zunehmend weniger auf die Integrationskraft der SPÖ und der Gewerkschaften angewiesen zu sein. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die SPÖ, die Gewerkschaften und das stark institutionalisierte Modell der sogenannten Sozialpartnerschaft dazu beigetragen, konsequente oppositionelle Regungen mundtot zu machen und in den Herrschaftsbetrieb zu integrieren. Die lange Prosperitätsphase und die wirtschaftliche Gunstlage im Windschatten der deutschen Konzerne verhalfen diesem Modell zu Erfolg und Legitimität.
Die SPÖ widersetzt sich der neoliberalen Programm nicht wirklich. Sie begnügt sich damit, dieses zu entschärfen. Bundeskanzler Kern hat am 11. Januar dieses Jahres mit einer großen Show seinen Plan A vorgestellt. Dieser Plan A schlägt eine Politik vor, die einer Unterordnung unter die Logik des internationalen Standortwettbewerbs und der Konkurrenz gleichkommt. In der Hoffnung auf vermehrte Bautätigkeit sollen zum Beispiel die „gemeinnützigen“ Wohnbaugesellschaften sogar dem internationalen Finanzkapital geöffnet werden. Der Plan A diente nie zur Mobilisierung der eigenen Basis gegen die rechte Offensive. Ganz im Gegenteil, er war ein Schritt zur weiteren Anpassung und Unterordnung an die neoliberale und neokonservative Großwetterlage.
Zur politischen Degenerierung gesellen sich der organisatorische Abbau und schließlich die moralische Zersetzung. Die Partei scheint politisch und organisatorisch ausgehöhlt zu sein. Genau deshalb geben sich ihre Entscheidungsträger verheißungsvollen Versprechungen zwielichtiger Kommunikationsberater hin. Sie unterwerfen sich dabei den politökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Medienbetriebs und der Social Media, lassen sich hierbei auf absurde Manöver ein und verstärken damit erst recht eine zersetzende und schließlich demobilisierende Dynamik.
Mit dieser Praxis steht die SPÖ allerdings nicht alleine da. In ganz Europa ziehen es die Sozialdemokratischen Parteien vor, sich weiter bis zur Unkenntlichkeit den Erfordernissen der Kapitalverwertung und der Logik bürgerlicher Herrschaft unterzuordnen, anstatt eine Widerstandsperspektive zu entwerfen. Damit machen sie sich überflüssig. Große Teile der Bevölkerung wenden sich von den Sozialdemokratischen Parteien ab. Es scheint als ob die Sozialdemokratie den kollektiven Selbstmord der mühevollen Besinnung auf die eigenen sozialen Wurzeln vorzieht. Die einzige Ausnahme ist die bemerkenswerte Wandlung der britischen Labour Partei unter den Impulsen einer von Jeremy Corbyn angeführten Basisbewegung.
Nach mehreren Jahren der Krise erleben die europäischen Kernländer nun zwar einen Wirtschaftsaufschwung. Die Arbeits- und Lebensbedingungen werden damit aber nicht besser. Niemand geht davon aus, dass wir vor einer langen Phase der Prosperität stehen. Im Gegenteil, die wirtschaftlichen Widersprüche und gesellschaftlichen Bruchlinien vertiefen sich. Auch in Österreich spüren viele Menschen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Antworten unterscheiden sich allerdings diametral. Es gibt eine autoritäres Projekt und die Suche nach einer solidarischen Alternative.
Neue ÖVP und FPÖ: autoritäres Projekt
Die Phase hoher Wachstumsraten und Produktivitätsgewinne ist vorbei. Die ökonomische Basis für das Modell der Sozialpartnerschaft schwindet. Angesichts des international verschärften Konkurrenzkampfes ziehen es die Herrschenden und Mächtigen in diesem Land vor, einen radikalen Kurswechsel durchzusetzen. ÖVP-Chef Kurz und die Kreise, die das von ihm vertretene Projekt wirksam tragen und finanzieren, haben geschickt das Bedürfnis nach Veränderung gekapert. Sie versprechen einen „Aufbruch“. Ihr Aufbruch ist allerdings ein Aufbruch der Eliten, der Mächtigen und Vermögenden dieses Landes zu einer Offensive des Klassenkampfs von oben gegen unten. Die ohnehin bereits erodierte Sozialpartnerschaft soll dem Kommando der Unternehmensinteressen weichen.
Das heißt Kürzung der Mindestsicherung als Schritt zu einem Um- und Abbau des Sozialstaats, 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche als Maßnahme in Richtung allgemeiner Flexibilisierung der Arbeit und der Arbeitsmärkte, Reduktion der sogenannten Lohnnebenkosten um die gesellschaftliche Infrastruktur runterzufahren um neue Märkte für privatwirtschaftliche Angebote zu schaffen, Steuergeschenke an die Reichen und finanzielle Austrocknung der Staates um eine erneute Kürzungswelle zu rechtfertigen. Auf dem Weg zu diesem „Aufbruch“, der einem Abbruch sozialer und demokratischer Errungenschaften gleichkommt, können die Kammern ihres politischen Mandats entledigt und zu reinen Dienstleistungsbetrieben geschrumpft werden. Das alles geht allerdings nur, wenn es gelingt die Spaltung unter den Lohnabhängigen voranzutreiben. Die Rhetorik von Kurz ist voll von Spaltungslinien: in Einheimische und Zugewanderte, in Junge und Alte, in gut Qualifizierte und LeistungsverweigerInnen, in WienerInnen und Nicht-WienerInnen, in Familien und Alleinstehende. An seiner Parteitagsrede in Graz am 7. Oktober funktionierte Kurz die Nationalratswahl kurzerhand zu einer Volksabstimmung um, die darüber befinde, „ob wir die Silbersteins und andere wollen“, die Kern reingeholt habe. Natürlich wollten „wir“ (ÖsterreicherInnen?) diese und deren miese Geschäfte nicht. Kurz bediente damit subtil auch antisemitische Vorurteile. Ganz besonders schießt die scheinbar neue ÖVP gegen die Zustände in Wien. Gezielt greift Kurz damit das Symbol der verbliebenen Reste des sozialdemokratischen Sozial- und Versorgungsstaats an. In jedem Interview und jeder Rede wendet er sich gegen „Ausländer“, die sich soziale Leistungen erschleichen wollten. Er schürt damit systematisch die Mechanismen der Ausgrenzung. Mittlerweile betreiben die neue ÖVP und Kurz die Technik der Spaltung in Gute und Schlechte, in Dazugehörige und Auswärtige wesentlich wirksamer als die FPÖ. Sie schüren damit den Geist des Egoismus, um jede Vorstellung gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Infrastruktur und Vorsorge zu unterminieren.
Nicht wenige AnhängerInnen von Kurz und FPÖ-Chef Strache hängen der Vorstellung und Illusion an, sie könnten ihre relativen Privilegien verteidigen, indem sie auf eine Ausgrenzung von Zugewanderten setzen und schließlich die eigenen Partikularinteressen und die bereits zerflossene Idylle in Österreich gegen das Böse auf der Welt verteidigen. Auch Peter Pilz segelt mit seinem populistischen Manöver ebenfalls auf dieser Welle der Sehnsucht nach „Heimat Österreich“. Das droht in einen „Aufbruch“ in eine verschärfte soziale Spaltung, Ausgrenzung, Bekämpfung von Armut durch Bekämpfung der Armen und schließlich Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen großer Teile der lohnabhängigen Bevölkerung zu münden.
Weder die SPÖ noch die Gewerkschaften widersetzen sich konsequent dieser jede Solidarität zersetzenden Mechanik. Das wird sie nachhaltig weiter schwächen. Die Grünen halten zwar dagegen, allerdings ohne die zugrundeliegenden wirtschaftlichen Gründe und Herrschaftsmechanismen anzusprechen. Insgesamt lassen sich alle etablierten Parteien weitgehend auf die herrschenden Logik ein und bequemen sich darin, sie etwas abzufedern. Das ist weder glaubwürdig noch perspektivenreich.
Bruch und Aufbruch
Auf der anderen Seite gibt es eine Minderheit von Menschen, die dieses System zumindest teilweise in Frage stellen oder gar mit ihm brechen wollen. Sie verstehen unter Aufbruch, einen Bruch mit dem Bestehenden, einen Aufbruch zu einer solidarischeren und demokratischeren Organisation der Gesellschaft, hier in Österreich, in Europa und anderswo auf der Welt. Die Herausforderungen sind beträchtlich. Es geht um nicht weniger, als die Neuformulierung einer gesellschaftlichen Alternative und Neuformierung der gesellschaftlichen und politischen Kräfte, die eine solche Alternative erkämpfen wollen.
Derzeit gibt es in Österreich keine politische Kraft, die konsequent die Interessen der Lohnabhängigen, Prekären und Armen vertritt – und zwar in einer notwendigen internationalen Perspektive. Es gibt eine solche Kraft weder in der Gesellschaft noch auf dem politischen Parkett. Es geht darum eine solche solidarische Kraft gegen die Herrschaft der großen Konzerne und die politische Kaste aufzubauen, eine Kraft, die sich jenseits der sogenannten Regierungs“linken“ verortet. Wie die Erfahrungen in andern Ländern Europas zeigen, wird der Aufbau einer neuen antikapitalistischen Kraft lange dauern. Unabdingbar hierbei ist die Entwicklung einer Basisarbeit, die dort ansetzt, wo die Menschen arbeiten, wohnen, studieren und ihre Freizeit verbringen.
Die Kandidatur der KPÖ PLUS verkörpert immerhin eine symbolische Alternative. Auf der Liste der KPÖ PLUS stellen sich Aktive der KPÖ, der ehemaligen Jungen Grünen und Unabhängige zur Wahl. Die KPÖ PLUS ist österreichweit die einzige Liste, die sich konsequent gegen den Sozialabbau, für Arbeitszeitverkürzung, für bezahlbare Mieten und gegen die rassistische Ausgrenzung stellt. In Wien und Oberösterreich stellt sich auch die Sozialistische Linkspartei zur Wahl, deren Wirkung aber kaum wahrnehmbar sein wird. Ein gutes Wahlresultat der KPÖ PLUS trägt dazu bei, die Chancen für eine Neuformierung der linken und antikapitalistischen Kräfte zu verbessern. Entscheidend ist jedoch, was nach der Nationalratswahl und der Regierungsbildung passiert.
Möglicherweise werden sich nach der Wahl in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft Menschen der verstärkten neoliberalen und neokonservativen Gegenreform entgegenstellen wollen. Solche Aktivitäten werden ein wichtiger Ansatz für einen Neubeginn linker Politik sein, doch sie werden das Kräfteverhältnis kaum substanziell verändern. Es gibt keine kurzfristigen Lösungen. Vielmehr müssen wir uns auf langwierige und schwierige Kleinarbeit einstellen. Dringend sind alternative politische Perspektiven zu erarbeiten und zu organisieren. Auch das erfordert Zeit und Geduld. Im Kontext der gegenwärtigen Auseinandersetzungen stellen sich Fragen, die allerdings weit über die unmittelbare Abwehr der neoliberalen und neokonservativen Dampfwalze hinausgehen.
- Wie können wir uns der Offensive der Unternehmen zur Arbeitsflexibilisierung wirksam entgegen stellen? Was bedeutet das in Bezug auf die Arbeitsorganisation, die Arbeitszeit und aktiven Teilnahme der Beschäftigten an dieser Gegenwehr und der Beantwortung dieser Fragen?
- Wie können wir eine gute Bildung für alle hier lebenden Menschen verwirklichen?
- Wie sind die Sozialversicherungen zu organisieren, damit alle EinwohnerInnen dieses Landes den gleichen Versicherungsschutz genießen?
- Wie hat die Altersvorsorge auszusehen, damit sie allen ein würdiges Altern erlaubt? Die Antwort muss konsequent die kapitalgedeckten Versicherungssysteme (die Beschäftigten bezahlen in einen Fonds ein, dessen Mittel zur finanziellen Akkumulation auf den Finanzmärkten angelegt werden) in Frage stellen und das solidarische Umlageverfahren (die Berufstätigen bezahlen für die heutigen RentnerInnen ein) ausbauen. Dieses ist effizienter und solidarischer und erlaubtes die Produktivitätsgewinne der Gesellschaft gerechter zu verteilen.
- Wie wollen wir unsere Produktion und unseren Konsum organisieren, um den Verschleiß natürlicher Ressourcen, die Zerstörung von Natur und den Klimawandel in Grenzen zu halten?
- Wie können wir uns der Stärkung der Exekutiven und den Tendenzen eines autoritären Staates mit einer Ausweitung der demokratischen Möglichkeiten entgegensetzen und zwar so, dass die demokratische Teilhabe über den Nationalstaat hinausreicht und schließlich auch die strategischen Investitionsentscheidungen in der Wirtschaft erfasst?
Die Antworten auf diese Fragen sind nicht leicht und sie hängen davon ab, ob sich die Menschen in Bewegung setzen, sich aktiv einsetzen für ihre Belange am Arbeits- und Wohnort. Die Gewerkschaften können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Die politische Bewegung Aufbruch hat sich gegründet, um Aktivitäten und Mobilisierungen gegen die neoliberale und neokonservative Offensive zu unterstützen und voranzutreiben. Wir wollen zugleich dazu beitragen, Perspektiven zu erarbeiten, die darüber hinausweisen. Wir wollen die sozialen und ökologischen Herausforderungen gemeinsam denken. Wir setzen dem neoliberalen und neokonservativen Abbruch die Perspektiven eines ökosozialistischen Aufbruchs gegenüber.