Wir begrüßen die Initiative der Mosaik-Redaktion zur Diskussion über die Perspektiven der Linken in Österreich. Mit diesem Beitrag antworten wir auf die fünf Thesen der Mosaik-Redaktion vom 23. Oktober 2017[1] und übernehmen dabei deren Gliederung. Wir möchten damit zu weiteren Stellungnahmen anregen. In einem längeren Beitrag skizzieren wir ausführlicher Elemente antikapitalistischer Perspektiven in Österreich.[2]
Verena Kreilinger und Christian Zeller, 28. November 2017
„1. Der Rechtsrutsch ist umfassend – und Ergebnis einer Entwicklung von Jahrzehnten.“
Wir teilen den Befund des Rechtsrutsches. In der Tat ist diese Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse Ergebnis einer längeren Entwicklung in den Zentrumsländern Europas. Um die Dynamik zu verstehen, gilt es jedoch genauer hinzuschauen. Die Nationalratswahl hat auf institutioneller Ebene eine Verschiebung nach rechts sichtbar gemacht, die auf gesellschaftlicher Ebene in Österreich seit vielen Jahrzehnten manifest ist. Gesellschaftlicher Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine Erfindung der rechtspopulistischen Politik von Haider, Strache und nun Kurz, sondern tief verankert in der österreichischen Geschichte. Das Spiel mit rassistischen Ressentiments, nationalsozialistischen Zeichen und antisemitischen Codes ist allgegenwärtig. Dieser gesellschaftliche Rassismus zeigt sich vielfach entkoppelt vom Wahlverhalten. WählerInnen von SPÖ und ÖVP zeigen gleichermaßen ausgeprägte xenophobe, rassistische und antisemitische Einstellungen.[3]In Österreich gibt es strukturell eine konservative Mehrheit, welche auch durch die SPÖ in den 1970er Jahren nicht gebrochen wurde.
Die Mosaik-Redaktion diskutiert den Rechtsrutsch vorrangig in seiner gesellschaftspolitischen Dimension, namentlich in den Bereichen Rassismus/Fremdenfeindlichkeit, Migrations-, Asyl- und Integrationspolitik. Das ist wichtig, aber nicht ausreichend. Eine bedeutende Verschiebung nach rechts hat sich vor allem auf dem wirtschaftspolitischen Feld vollzogen. Die neue Führungsriege um Kurz und die ihn stützenden Kräfte haben beschlossen, in die Offensive zu gehen, um möglichst alle institutionellen Hürden aus dem Wege zu räumen, welche der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Schlüsselsektoren der österreichischen Wirtschaft noch im Wege stehen. Die Flexibilisierung der Arbeit, die Infragestellung der Kollektivverträge, die Schwächung der Arbeiterkammer sowie der Um- und Abbau der Sozialversicherungen sind Bestandteile eines kohärenten Programms. Die FPÖ hat sich dieser neoliberalen und neokonservativen Offensive angeschlossen und drückt diese mit ihrem Wirtschaftsprogramm unmissverständlich aus. Ihre soziale Rhetorik hat sie hintenangestellt. Der fremdenfeindliche und rassistische Diskurs von ÖVP und FPÖ passt zu dieser Ausrichtung. Die Rhetorik von Kurz und Strache ist voller Spaltungslinien. Diese dienen systematisch den Mechanismen der Ausgrenzung und dem Geist des Egoismus, um jede Vorstellung gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Infrastruktur und Vorsorge zu unterminieren. Zugleich hat zunehmend neoliberale Politik die sozialen Ursachen für eine Rechtsverschiebung von abstiegsbedrohten Milieus erst geschaffen.
Um das Kräfteverhältnis verstehen, dürfen wir nicht nur den gesellschaftlichen Vormarsch fremdenfeindlicher und rassistischer Vorstellungen betonen. Es gilt auch die Geschlossenheit der Regierungsparteien auf eine neoliberale Wirtschaftsagenda zu beachten. Dieser Agenda stellen sich auch die SPÖ und die Grünen nicht wirklich in den Weg.
„2. Das Argument des kleineren Übels ist stark wie nie – und verstärkt den Rechtsrutsch zusätzlich.“
Die Thesen der Mosaik-Redaktion benennen die große Mitverantwortung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften für die Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Neoliberalen und Neokonservativen nicht. Sowohl eine reformorientierte als auch eine antikapitalistische Linke kommt nicht umhin, die desaströse Bilanz der Sozialdemokratie und der mit ihr verbundenen Gewerkschaften kritisch zu reflektieren. Wir führen hier fünf wichtige Punkte auf, über deren Konsequenzen wir verstärkt nachdenken sollten.
- Die SPÖ, wie die ganze Sozialdemokratie in Europa, ordnet sich bereits seit Jahrzehnten weitgehend dem Dogma der Wettbewerbsfähigkeit unter und trägt nationalistische Standortpolitik mit.
- Die SPÖ und ihre Schwesterparteien in Europa hielten lange Zeit an der Verteidigung des Sozialstaates, einem Erbe vergangener Kämpfe und der goldenen Phase des Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg, fest. Nachdem die Verteilungskämpfe aufgrund sinkender Produktivitätszuwächse härter wurden, verschrieben sie sich einem Modernisierungskurs im Dienste des exportorientierten Kapitals. Premierminister Blair und Bundeskanzler Schröder trugen diese Orientierung auf die Spitze. Obgleich nicht so konsequent, beschritt die SPÖ einen ähnlichen Weg. Der im Januar 2017 vorgestellte Plan A ist kein sozialdemokratisches Reformprogramm, sondern ein Modernisierungsprogramm, das die Interessen der exportorientierten Industrie sozial gestalten und einbetten will.
- Das Führungspersonal der SPÖ hat sich in den Staatsapparat integriert. Wer seine politische Praxis mit einer erfolgreichen Karriere im Staatsapparat, in der Arbeiterkammer oder als Manager eines „nahestehenden“ Unternehmens verbindet, wird kaum mehr bedingungslos für die Interessen der weniger privilegierten Lohnabhängigen einstehen. Es gilt zu überprüfen, inwiefern Teile der Sozialdemokratie sich mittlerweile zu einem Teil der herrschenden Klasse assimiliert haben, nicht nur objektiv, sondern sich dieser auch selber zugehörig fühlen.
- Die sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften tragen eine umfassende Mitverantwortung für eine seit Jahrzehnten fremdenfeindliche und fragmentierende Arbeitsmarktpolitik. Die Gewerkschaften machen es sich zur Aufgabe, die österreichischen ArbeiterInnen und Angestellten in Konkurrenz zu eingewanderten Lohnabhängigen und zu jenen in anderen Ländern zu verteidigen, anstelle deren gemeinsamer Interessen in den Vordergrund zu stellen.
- Die sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften entwickelten kaum ein Verständnis dafür, die ganze Klasse der Lohnabhängigen, also wirklich alle, die ihre Arbeitskraft mehr oder weniger prekär verkaufen müssen, beziehungsweise vom Lohn ihrer Partner abhängig sind, zu verteidigen. Teilzeitarbeitende Frauen, Prekäre, Kleinstunternehmen blieben vielfach vergessen.
Der Rechtsrutsch der SPÖ ist nicht einer ungünstigen Konstellation in deren Führung oder dem rein taktischen Kalkül dieser Führung geschuldet (obwohl das noch dazukommen mag), sondern ist Ausdruck der kompletten Integration der SPÖ in das bürgerlich-kapitalistische Herrschaftssystem und der Aufgabe jeder Orientierung der SPÖ als soziale Reformpartei.
„3. KPÖ PLUS hat gezeigt, dass ein guter Wahlkampf alleine nicht reicht, um auch nur einen messbaren Fortschritt zu erzielen.“
Zunächst ist daran zu erinnern, dass weder die KPÖ noch die Jungen Grünen wirklich eine offene und bewegungsorientierte Kandidatur angestrebt haben, die als Verlängerung vieler Engagierter in der Flüchtlingssolidarität, der Offensiv gegen Rechts, einiger weniger betrieblicher Auseinandersetzungen, Bewegungen wie system change not climate change und in Aufbruch wichtige Impulse hätte setzen können. Der Wahlkampf der KPÖ PLUS war in Inhalt und Form konventionell und klassisch sozialdemokratisch, also genau das, was die SPÖ selber nicht mehr ist. Die Botschaft war denkbar einfach: wählt uns, wir vertreten euch besser als die anderen, besser als die SPÖ, Pilz und die Grünen. Wie in langer sozialdemokratischer und bisweilen kommunistischer Tradition erhielt man den Eindruck, bei der Nationalratswahl gehe es um eine rein innerösterreichische Angelegenheit. Nicht einmal die ungleiche Entwicklung in Europa war ein Thema. Die WahlkämpferInnen der KPÖ PLUS nutzten den Wahlkampf kaum dazu, um zu erklären, dass nur starke soziale Bewegungen, die eigene Organisierung und das persönliche Einmischen dazu beitragen, das Kräfteverhältnis zu verändern.
Die Mosaik-Redaktion argumentiert für die Schaffung eines dritten solidarischen Lagers. Dieser dritte Pol ist analytisch diffus und bezeichnet unterschiedliche Konzepte[4]. Die Mosaik-Redaktion scheint den Begriff „solidarisches Lager“ als dritte politische Gesinnung (nun also „solidarisch“ statt links) neben „rechts“ und „liberal“ zu verwenden. Das befreit dieses Konzept nicht nur von jeglichem originären Kern, sondern ist darüberhinaus im österreichischen Kontext völlig missverständlich. Als drittes Lager wird hier traditionell das Lager der deutschnationalen und nationalliberalen WählerInnenschaft bezeichnet. Im Falle Deutschlands argumentieren Kahrs und Strohschneider, dieses dritte Lager sei „nicht einfach da, sondern es bildet sich durch das soziale Handeln in einer gesellschaftlichen Konfliktsituation. Es schafft sich selbst, quer zur bekannten Politlandschaft.“ Das solidarische Lager entstehe also durch eine Politisierung in einer konkreten widerständischen Praxis. Diese Praxis, also soziale Bewegungen, gibt es derzeit allerdings nicht in Österreich. Das dritte solidarische Lager ist ein schlichtes Hilfskonstrukt, dessen soziale Basis, politische Form sowie inhaltlicher Gehalt fraglich bleiben und wenig Nützlichkeit für die bevorstehende Herausforderungen aufweist.
Wir schlagen demgegenüber eine Orientierung auf die Klasse der Lohnabhängigen in ihrer ganzen Vielfalt und Unterschiedlichkeit vor. Die Lohnabhängigen, Deklassierten, Prekären, KleinstunternehmerInnen, Migrant_innen und die große Mehrheit der Frauen brauchen eine Organisation, die ihnen mit Rat und Tat beisteht, die sie unterstützt und die versucht, ein Sprachrohr der arbeitenden Bevölkerung in der ihnen fremden Welt tendenziell autoritärer Institutionen zu sein. Eine solche Organisation fehlt seit vielen Jahrzehnten. Das ist bereits so lange her, dass das Bewusstsein über die Nützlichkeit einer solchen Organisation erloschen ist.
„4. Hören wir auf, uns einzureden, wir hätten eine Mehrheit auf unserer Seite.“
Wer ist hier mit „wir“ gemeint? Meint die Mosaik-Redaktion mit „wir“ bereits das imaginäre dritte solidarische Lager? Es ist offensichtlich, dass das sogenannte rot-grüne Parteienspektrum keine Mehrheit hat. Selbstverständlich agiert eine reformorientierte Linke und erst recht eine antikapitalistische Linke aus einer deutlichen Minderheitenposition.
Zweifellos muss jede emanzipatorische Perspektive auch danach trachten, gesellschaftliche Mehrheiten zu erringen, was nur durch umfassende gesellschaftliche Auseinandersetzungen geschehen kann. Mit großen Mobilisierungen und angemessenen Bündnisse kann es immer wieder möglich sein, sich auf einzelnen Fragen durchzusetzen. Das ist wichtig, um das grundlegendere Kräfteverhältnis zu verändern und hegemonial zu werden.
Eine wichtige Hürde auf diesem Weg ist die gesellschaftliche und politische Fragmentierung der lohnabhängigen Bevölkerung und ganz besonders das tief verankerte fremdenfeindliche und rassistische Bewusstsein. Die soziale Frage sei mit einer antirassistischen Perspektive zu verbinden, argumentieren die Mosaik-AutorInnen. Das teilen wir. Dem Rassismus und der damit einhergehenden spaltenden Logik muss eine antikapitalistische Linke etwas entgegensetzen, gleichzeitig darf sie aber nicht in dieselbe Logik verfallen und besonders benachteiligte Lohnabhängige über ethnische und nationale Kategorien ansprechen. Es mag 700.000 MuslimInnen in Österreich geben und der Anteil der Bevölkerung mit sogenanntem Migrationshintergrund rund 20% betragen – die Interessen dieser Menschen sind jedoch ähnlich divers wie die der autochthonen Bevölkerung. Die Zuschreibung einer gemeinsamen Identität, die sich negativ aus dem Erleben von Ausgrenzung und Diskriminierung ergibt, reproduziert Kollektivität entlang nationaler und religiöser Zugehörigkeit. Das erschwert es gemeinsame soziale Probleme zu benennen und gemeinsame Erfahrungen zu erleben. Ausgehend vom Befund, dass die österreichische Gesellschaft stark fremdenfeindlich ist und war, ist zu überlegen, wie Lohnabhängige unabhängig von ihrem Geburtsort und ihrer Passfarbe solidarische Erfahrungen auf alltäglichen Herausforderungen an ihrem Arbeitsort, an ihrem Wohnort, im öffentlichen Raum und in ihren Freizeit machen können. Hierfür gibt es keine Rezepte .Zugleich ist auf allen diesen Felder hartnäckig jeglicher rassistischer Tendenzen entgegenzutreten. Die Mosaik-Redaktion weist auf eine zentrale Herausforderung hin: „Dazu gehört auch, dass wir uns fragen, warum sich so wenige Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind, in der Linken engagieren – und wie wir das ändern können.“ Dieselbe Frage ist allerdings für alle Benachteiligten zu stellen. Die Linke spricht hier fast immer nur „über“, selten „mit“ und fast nie „durch“ die Betroffenen.
Bemerkenswerterweise hat die Mosaik-Redaktion die europäische und internationale Dimension nicht angesprochen. Das ist keine Kleinigkeit. Eine solidarische und ökologische Perspektive kommt nicht darum herum, die EU grundsätzlich in Frage zu stellen. Die EU ist in ihrem Fundament, in ihrem Kern, neoliberal ausgerichtet und agiert zunehmend autoritär. Selbstverständlich mündet unsere Infragestellung der EU nicht in eine Verteidigung des Nationalstaats. Alle großen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen sind in einer transnationalen, europäischen und teilweise gar globalen Perspektive anzupacken. Das ist wiederum keine abstrakte Erkenntnis. Soziale Bewegungen müssen sich internationalisieren, wollen sie wirksam das Kräfteverhältnis verändern. Die antikapitalistische und ökosozialistische Linke steht vor der Herausforderung, Vorschläge für eine europäische Organisierung des Transportsystems, der Sozialversicherungen, des Steuersystems und sogar der Lohnbestimmung zu erarbeiten, die an den aktuellen Problemen ansetzen und zugleich in die Richtung einer solidarischen und ökologischen Organisierung der Gesellschaften in Europa weisen.
„5. Vor uns liegen große Kämpfe. Lernen wir aus den Erfahrungen der Bewegung gegen Schwarz-Blau I, aber wiederholen wir nicht ihre Fehler.“
Wir können zweifellos feststellen, dass wir uns mitten in einem Klassenkampf von oben gegen unten befinden, der rasch an Härte und Brutalität zunehmen wird. Das bedeutet leider nicht, dass sich automatisch breiter gesellschaftlicher Widerstand entwickeln wird. Wie sollen Menschen plötzlich Widerstand üben, die in ihrem Leben kaum je Erfahrungen in kollektivem und gesellschaftlichem Engagement gemacht haben und auch niemanden kennen, die/der solche Erfahrungen gemacht hat? Zuversichtlich schreibt die Mosaik-Redaktion, gegen das Programm der schwarz-blauen Regierung „wird sich Widerstand regen, der maßgeblich von den Gewerkschaften und der SPÖ getragen werden wird.“ Was bringt sie zu dieser überraschenden Einschätzung? Ein Blick auf die letzten zwei Jahrzehnte in Europa offenbart, dass Sozialdemokratische Parteien kaum irgendwo sozialen Widerstand wirklich mittrugen, geschweige denn organisierten.
Was ist einfacher als bereits über die nächsten Landtagswahlen und Gemeindewahlen nachzudenken. Doch genau das liefe darauf hinaus, so weiter zu machen wie bisher. Weitere KPÖ PLUS Kandidaturen würden mit großer Wahrscheinlichkeit wieder zu ähnlichen Ergebnissen führen. Aufbruch versuchte einen Neuformierungsprozess der Linken voranzutreiben. Das ist vorerst gescheitert. Mittlerweile zeigt sich, dass der Zerfall linker Zusammenhänge weit fortgeschrittener ist als bislang angenommen. Die fatalen Konsequenzen bisheriger Niederlagen und degenerierter sozialistischer Projekte einerseits und die Tragweite der neoliberalen, neokonservativen und autoritären Offensive andererseits sind kaum zu unterschätzen. Das ist der allgemeine historische Kontext zu dem sich die Besonderheiten der Wirkungen der sozialdemokratischen Mitverwaltung, der konservativen Hegemonie und der politischen Atomisierung in Österreich gesellen.
Die Herausforderungen sind groß. Es geht um einen wirklichen Neuaufbau antikapitalistischer Kräfte. Ohne soziale Bewegungen ist das schwierig. Zentrale Aspekte dieses Neuaufbaus sind politische Klärungsprozesse und bescheidene Initiativen zur Förderung der Organisierung. Anstatt ein drittes solidarisches Lager zu erfinden, schlagen wir vor, sich einer dreifachen Herausforderung zu stellen:
Erstens ist eine politische Kraft zu entwickeln, die sich grundsätzlich der kapitalistischen Profit- und Konkurrenzlogik entgegenstellt. Die Organisation Aufbruch kann hierzu einen Beitrag leisten. Die Herausforderung reicht aber weit über die Kapazitäten von Aufbruch hinaus. Eine relevante Kraft kann sich letztlich nur im Zuge gesellschaftlicher Bewegungen und Auseinandersetzungen entwickeln. Diese antikapitalistische Organisation soll zugleich eine offene Bündnispolitik auf konkreten Sachfragen mit allen Gruppierungen und Individuen betreiben, die sich der neoliberalen und rechtskonservativen Offensive entgegenstellen wollen. Je nach Auseinandersetzung und Thema können sich unterschiedliche Bündniskonstellationen ergeben.
Zweitens sind Aktivitäten zu entwickeln, die dazu beitragen, Lernprozesse, eine widerständige Praxis am Arbeitsplatz, am Wohnort, an der Uni, Schule und im öffentlichen Raum zu befördern. Ziel ist die Formierung gesellschaftlicher Organisationen, deren Mitglieder sich aktiv einbringen und sich gerade durch ihre Organisierung als politische ProtagonistInnen zu verstehen lernen. Das können Gewerkschaften sein, die sich im Sinne eines social movement unionism auf alle lebensweltlichen Belange der Beschäftigten beziehen, aber auch Organisationen von MieterInnen, Umweltorganisationen, feministische und antirassistische Organisationen. Entscheidend ist das wieder zu entwickelnde Verständnis einer unabhängigen und eigenständigen Organisierung.
Drittens stehen wir vor der Herausforderung, Vorschläge und Programme zu formulieren, die einerseits an den real wahrgenommenen Problemen großer Teile der arbeitenden Bevölkerung ansetzen, von diesen verstanden werden und zugleich in eine Richtung weisen, die über die Profit- und Konkurrenzlogik hinausweisen. Es geht also um eine Programmatik, die ansatzweise Perspektiven eines Übergangs zu nicht-kapitalistischen Formen der Gesellschaft aufzeigt.
Eine antikapitalistische Organisation, die zugleich radikal, also den Dingen auf den Grund geht, flexibel ist und breite Bündnisse gegen die neoliberale Offensive eingeht, sollte in der Lage sein, diese drei Ebenen miteinander zu verbinden. Ein linkes Wahlbündnis, das versucht, sozialem Widerstand und antikapitalistischen Ideen einen politischen Ausdruck zu verleihen und dazu beiträgt die zerstreuten Aktiven zu organisieren, wäre in diesem Rahmen ein großer Fortschritt für die politischen Auseinandersetzungen. Es geht also nicht darum, Politik neu zusammenzusetzen (das Motto des Mosaik-Blogs) und allenfalls ein solidarisches Lager zu sammeln. Die Aufgabe ist fundamentaler: es geht um den Neuaufbau einer antikapitalistischen Linken und letztlich um den Neuaufbau sozialer und politischer Zusammenhänge, die schließlich auch ihren politischen Ausdruck finden sollen.
[1] Mosaik-Redaktion: Zeit für einen Neustart: fünf Thesen zur Wahl, 23. Oktober 2017 http://mosaik-blog.at/nationalratswahl-2017-thesen-mosaik-linker-neustart. Das ist die ausführliche Version unserer Antwort. Eine stark gekürzte Version findet sich auf der Webseite des Mosaik-Blog http://mosaik-blog.at/neustart-antikapitalistische-linke-in-oesterreich-aufbruch/
[2] Verena Kreilinger / Christian Zeller: Antikapitalistische Perspektiven in Österreich entwickeln, 22. Dezember 2017 http://www.aufbruch-salzburg.org/antikapitalistische-perspektiven
[3] Zum Beispiel: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20011109_OTS0006/ursachen-der-fremdenfeindlichkeit-in-oesterreich-autoritarismus-und-antisemitismus
[4] Zum Beispiel: Horst Kahrs Wer/Was ist eigentlich der „Dritte Pol“? , 23. August 2016 http://www.horstkahrs.de/wp-content/uploads/2016/08/2016-08-23-Ka-Dritter-Pol.pdf