Christian Zeller
Juni 2018

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1. Einleitung: Aufbruch – wir machen weiter

Zwei Jahre nach dem offiziellen Beginn im Juni 2016 steht Aufbruch an einer Kreuzung. Gelingt es den beteiligten Personen ein gemeinsames politisches Profil zu erarbeiten und handlungsfähig zu werden? Können die Gruppen in den Stadtteilen Wiens und in den anderen Städten ihre spezifischen Projekte im Rahmen eines sich schrittweise klärenden Gesamtprojekts formulieren? Wir stehen vor der Frage, wie wir die in und mit Aufbruch gemachten Erfahrungen produktiv so verarbeiten können, dass wir weiterhin wirksam aktiv sein können.

Zwar entwickelte sich Aufbruch nicht zu einer breiten Sammlungsbewegung, die auch an Wahlen den etablierten Parteien eine konsequente solidarische und ökologische Alternative entgegenzusetzen vermag. Aufbruch formierte sich auch nicht zu einer antikapitalistischen Kraft, die zumindest punktuell eingreifen und aktive Kampagnen führen kann. Doch es gibt auch wichtige Errungenschaften, die nicht fahrlässig aufzugeben sind. Rund 60 bis 100 Personen haben zwei Jahre lang gemeinsame Erfahrungen in politischer Arbeit gemacht und gelernt, gemeinsam zu diskutieren, Aktionen durchzuführen und öffentlich aufzutreten. In Wien gibt es weiterhin einige aktive Gruppen. Die Gruppen in Graz und Salzburg haben sich stabilisiert. Es gibt sogar Versuche wieder eine Gruppe in Innsbruck aufzubauen.

Ich unterbreite hier den verbliebenen Aufbruch-Aktiven und weiteren interessierten Personen einen Vorschlag, der uns erlaubt, auf bescheidenem Niveau, aber zielgerichtet gemeinsam weiterzuarbeiten. Dieser Vorschlag knüpft an bisherige Diskussionsbeiträge an, die ich u.a. mit Verena Kreilinger vorgelegt habe[1] und zielt darauf ab, eine österreichweite Diskussions- und Arbeitsstruktur aufrechtzuerhalten. Ein gemeinsamer organisatorischer Rahmen ist Voraussetzung, um uns politisch und organisatorisch weiterzuentwickeln. Eines solchen bedarf es auch, um anderen Kräften Vorschläge für einheitliche Aktionen gegen die neoliberale-neokonservative und reaktionäre Regierung zu unterbreiten.

Die an diesem Arbeitsprozess beteiligten Personen und Gruppen erarbeiten eine ökosozialistische Perspektive. Sie schaffen im Rahmen dieser Zusammenarbeit die Grundlagen für eine antikapitalistische und ökosozialistische Organisation. In diesem Text begründe ich, warum eine solche Organisation erforderlich ist, und skizziere ich die ersten Schritte zu ihrer Formierung.

2. Widersprüche der kapitalistischen Produktions- und Herrschaftsweise

Zuerst will ich grundsätzlich anhand von drei Widersprüchen der kapitalistischen Produktions- und Herrschaftsweise erklären, warum eine antikapitalistische und ökosozialistische Perspektive erforderlich ist. Das mag jetzt etwas weitausgeholt erscheinen, ist aber zur gemeinsamen Verständigung wichtig. Aufbruch trat mehrfach mit sehr einfachen Parolen auf. Für breit ausgerichtete Kampagnen mag das verständlich sein, für den längerfristigen Zusammenhalt eines radikalen politischen Projekts reicht das nicht.

„So wie bisher kann es nicht weitergehen“, „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ „Mieten runter“ und „Leistbare Mieten“ sind entweder allgemeine und oberflächliche Aussagen oder schöne Wünsche. Sie drücken weder aus, dass wir gegen diese Wirtschafts- und Herrschaftssystem sind, noch sind sie auf unmittelbar politisch operationalisierbar in ganz konkret zu realisierende Forderungen.

Wir müssen uns und den Menschen klar machen, dass wir nicht nur aus moralischen Gründen oder weil wir verwerfliches Verhalten von Reichen und Politdarsteller_innen ablehnen, gegen die kapitalistische Produktions- und Herrschaftsweise sind, sondern aus sehr grundsätzlichen und ausgesprochen vernünftigen Überlegungen. Einerseits ist die kapitalistische Produktionsweise dynamisch und innovativ. Sie vermochte sich immer wieder neuen Bedingungen anzupassen. Andererseits werden die Schranken und die mit dem „destruktiven Fortschritt“ zusammenhängenden gesellschaftlichen Verwerfungen offensichtlicher.

  1. Der Hunger des Kapitals[2] nach unbezahlter Mehrarbeit, also Mehrwert, ist unersättlich. Damit das Kapital unbezahlte Mehrarbeit einsaugen kann bedarf es der unbezahlten Reproduktionsarbeit, die mehrheitlich von Frauen getätigt wird. Der Hunger nach Mehrwert treibt zur Expansion über die gesamte Welt und hat alleine in den letzten Jahrzehnten hunderte von Millionen von Frauen und Männern zu neuen Lohnabhängigen[3] Dennoch kann das Kapital diesen Hunger nur unter größeren Schwierigkeiten stillen. Auch wenn neue Technologien profitablere Produktionsmethoden erlauben, stellt sich die Frage wie die produzierten Waren zu Geld gemacht werden können, also der Mehrwert als Geld realisiert wird. Die Digitalisierung wird dieses Problem nicht lösen, sondern wird die Widersprüche zwischen der Produktion- und Realisierung des Mehrwerts verschärfen. Die gesellschaftlichen Ungleichheiten und die räumlich ungleiche Entwicklung haben sich in den letzten Jahren vergrößert und sie werden weiter zunehmen. Unter den kapitalistischen Zwängen des Profits und Konkurrenz werden einerseits viele Menschen aus dem kapitalistischen Produktionsprozess ausgeschieden werden, weil sie überflüssig gemacht werden, andererseits werden an anderen Orten (z.B. in China) immer wieder viele Menschen in den Produktions- und Verwertungsprozess eingesaugt.
  2. Mit ihrer Dynamik hat die kapitalistische Produktionsweise Innovationsprozesse angetrieben, die immer auch wieder neue Felder für profitable Kapitalverwertung schufen. Zugleich formt die kapitalistische Produktionsweise die Kreativität des Menschen in sehr spezifischer Weise. Die Lohnabhängigen sind gezwungen ihre Ideen und Phantasien auf eine Weise zu entwickeln, dass sie in die Verwertungslogik zugeführt werden können. Milliarden von Menschen werden schlicht ihrer elementarsten Möglichkeit beraubt, ihre Kreativität zu entfalten und in die Gesellschaft einzubringen. Frauen erfahren diese Geringschätzung ihrer Fähigkeiten auf spezifische Weise. Viele Menschen werden rassistisch, kulturell und nationalistisch unterdrückt und daran gehindert ihr Leben zu leben. Eine solche Gesellschaft ist schlicht unvernünftig.
  3. Unser Reichtum entstammt der Arbeit und der Natur. Alle unsere Waren sind letztlich durch Arbeit umgeformte Natur und alle Waren geben wir wieder in mehr oder weniger vernünftiger Form der Natur zurück (Emissionen, Deponien). Das Kapital tendiert dazu Arbeit und Natur zu übernutzen und damit die Lebensgrundlagen zu zerstören. Der kapitalistische Stoffwechsel mit der Natur ist ein ganz spezifischer und auf den Raubbau an den Erträgen der Natur und die Ausbeutung der Arbeit ausgerichtet. Die kapitalistische Ökonomie ist eine Kohlenstoffökonomie. Ohne Extraktion von Kohle, Öl und Gas wäre die heutige kapitalistische Produktionsweise nicht entstanden und könnte heute nicht funktionieren. Doch der extrahierte und in Energie umgewandelte Kohlenstoff wird unweigerlich in Form von CO2 wieder in die Atmosphäre ausgestoßen. Die herrschende Klimapolitik machte über die Einführung des Emissionshandelssystems auch diesen CO2–Ausstoß wieder zu einem lukrativen Feld der Kapitalverwertung und der Akkumulation von Finanzkapital. Die globale Erwärmung, die vielfältigen Formen der Umweltzerstörung und die mit ihr einhergehenden gesellschaftlichen Krisen stellen die physische Reproduktion von Millionen von Menschen auf der Erde unmittelbar in Frage. Das ist die verwirklichte Barbarei. Allerdings können gerade die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Menschen in Bangladesch, im Himalaya und in den Andenregionen sich am wenigsten dagegen wehren. Auch das ist eine Konsequenz der kapitalistischen ungleichen Entwicklung.

Ich hebe diese drei Widersprüche hervor, nicht um die These eines Zusammenbruchs der kapitalistischen Produktionsweise zu unterstützen. Ganz im Gegenteil: die kapitalistische Produktions- und Herrschaftsweise wird überleben und sich anpassen, dabei allerdings auf zunehmend barbarischere Herrschaftsmechanismen zurückgreifen. Die kapitalistische Produktionsweise kann nur noch fortbestehen, indem sie für eine zunehmend größere Zahl von Menschen die Chancen auf Selbstverwirklichung entzieht, deren Lebensbedingungen verschlechtert oder gar deren unmittelbare physische Existenz in Frage stellt. Die ökologische Zerstörung bringt keine Naturkatastrophen, sondern gesellschaftliche Zerstörung hervor. Die von Rosa Luxemburg so brutal formulierte Alternative gilt heute im Weltmaßstab: Sozialismus oder Barbarei.

3. Umfassender Angriff der herrschenden Klasse

Die imperialistischen Mächte[4] haben mit ihren Kapitalexporten den Aufstieg eines mittlerweile starken Rivalen befördert. China wird ein wettbewerbsfähiges Exportland nicht nur von einfachen Konsumgütern, sondern zunehmend auch von komplexen Produkten und bald auch von Investitionsgütern.

Ein zentrales Anliegen der herrschenden Klassen in Europa und Nordamerika besteht darin, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer exportorientierten Industrie im Vergleich zu ihren internationalen Rivalen zu erhalten und zu stärken. Genau darum wollen sie die Arbeits- und Produktionsprozesse grundlegend verändern. Um in der internationalen Konkurrenz zu bestehen, wollen sie den relativen Mehrwert über die Senkung der Reproduktionskosten durch günstigere Konsumgüter und rationellere Produktionsmethoden sowie den absoluten Mehrwert[5] über die Verdichtung der Arbeit, Verlängerung der Arbeitszeit und Lohnmoderation steigern.

Sowohl eine gewisse selektiv erwünschte Migration als auch die Ausgrenzung unerwünschter Migrant_innen dienen der Senkung der Arbeitskosten. Dadurch und durch die Schwächung der Sozialversicherungen wird die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen intensiviert. Die bewusste Spaltungspolitik trägt dazu bei, Solidarität unter Lohnabhängigen unabhängig von Pass- und Hautfarbe zu behindern und gar verhindern. All das verschärft den Lohndruck.

Die ÖVP-FPÖ-Regierung hat ihre ersten Angriffsziele sorgsam ausgewählt. Sie greift Migrant_innen und andere Schwache an, in der leider richtigen Annahme, dass die Gewerkschaften und SPÖ dagegen keinen Widerstand leisten werden. Zugleich stellt sie zielgerichtet Errungenschaften der Kernschichten der Lohnabhängigen in Frage. Die Abschaffung der Notstandshilfe und die Abdrängung von Menschen, die seit längerer Zeit keinen Arbeitsplatz finden, in die Mindestsicherung wird Armut verbreiten. Die selektive Kürzung der Mindestsicherung für Flüchtlinge und Migrant_innen verschärft ebenfalls die Spaltungslinien zwischen unterschiedlichen Sektoren der Lohnabhängigen. Die Kürzungen der Arbeitslosenversicherung betreffen nicht nur die Arbeitslosen, sondern sehr viel mehr Lohnabhängige. Denn wenn Arbeitslose gezwungen werden, niedriger entlohnte Jobs anzunehmen, bewirkt das einen Druck auf die Löhne von vielen Beschäftigten.

Die Regierung strebt eine umfassende Reorganisation der Sozialversicherung an. Strategisch will sie dem privaten Versicherungen und dem Finanzkapital neue Felder erschließen. Diesen Angriffen gilt es das Modell einer gemeinsamen sozialen Krankenversicherung für alle Lohnabhängigen und unter ihrer Selbstverwaltung gegenüberzustellen. Der Widerstand der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften orientiert sich aber eher auf den Erhalt von Einflusssphären für Funktionäre. Das ist zu wenig überzeugend und wird nicht ausreichen, die Angriffe der ÖVP-FPÖ-Regierung abzuwehren.

4. Eine Phase der Arbeiter_innenbewegung ist vorbei

Die Entwicklungen in Europa der letzten Jahre offenbaren, dass eine lange Phase der klassischen Arbeiter_innenbewegung zu Ende gegangen ist. Die Phase, die mit den starken sozialdemokratischen Arbeiterparteien gegen Ende des 19. Jahrhunderts und schließlich mit der russischen Revolution ihren Anfang nahm, hat sich erschöpft. Beide historischen Strömungen der Arbeiter_innenbewegung – die sozialdemokratischen und die kommunistischen Parteien –  bieten keine Anknüpfungspunkte für emanzipatorische Gesellschaftsveränderungen.

Die Sozialdemokratie ist Jahrzehnten Teil des herrschenden Systems. Sie strebt eine Modernisierung der kapitalistischen Produktions- und Herrschaftsweise an, die jeweils vollumfänglich der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in den jeweiligen Ländern dienen soll. Ihr Spitzenpersonal ist weitgehend mit der herrschenden Klasse verwoben. Ist die unmittelbare Politkarriere beendet, findet sich zumeist ein wohldotierter Job in einem staatsnahen Konzern. Deshalb wird die SPÖ nicht in der Lage sein, eine wirksame Opposition gegen die Regierung aufzubauen. Sie stellt sich als die moderne Kraft im Gegensatz zur rückwärtsgewandten Regierung dar. Auf diese Weise wird sie die wichtigen sozialen und demokratischen Fragen nicht einmal stellen. Nichts deutet darauf hin, dass die SPÖ ihre Basis wirksam gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung organisiert. Zudem gilt es bedenken, dass es kein einziges Beispiel in Europa in den letzten 30 Jahren gibt, wo eine sozialdemokratische Partei sich tatkräftig an sozialen Mobilisierungen beteiligt hat. Die Labour Party mit Jeremy Corbyn ist aus spezifischen Gründen derzeit eine Ausnahme.

Die Kommunistischen Parteien haben bis heute das Desaster des Stalinismus nicht aufgearbeitet. Die stalinistischen und maoistischen Verbrechen waren nicht nur Fehler kommunistischer Parteien, sondern die Praxis bürokratischer autoritärer Regimes und ihrer Unterstützer, die das Gegenteil einer sozialistischen Befreiung verfolgten. Dort, wo kommunistische Parteien gegenwärtig erfolgreich sind, kombinieren sie sozialdemokratische und populistische Konzepte auf der lokalen Ebene mit einem Festhalten an einer Weltanschauungsorthodoxie. Oftmals mündet das in eine Form paternalistischer Politik. Zur Selbsttätigkeit trägt das kaum bei. Zumeist sind die Kommunistischen Parteien allerdings marginalisiert und handlungsunfähig.

Die beiden historischen Hauptströmungen der Arbeiter_innenbewegung brachten lange Zeit kaum Verständnis für neue soziale Bewegungen auf, wie die Umweltbewegung und die Frauenbewegung auf. Beide verfolgten einen produktivitätsorientierten Wachstumskurs und unterordneten diesem die ökologischen Belange. Für die sozialdemokratischen Parteien, die sich einem kapitalistischen Modernisierungskurs verschrieben haben, gilt das bis heute. Die Vorstellungen eines „grünen Kapitalismus“ bleiben der Akkumulations- und Konkurrenzlogik verhaftet. Die ökologischen Herausforderungen mit marktwirtschaftlichen Mechanismen anpacken zu wollen, ist komplett illusorisch und schafft überdiese neue gesellschaftliche und ökologische Probleme.

5. Mit welchen Perspektiven wieder vorwärts gehen?

Die Integration der Sozialdemokratie und die historische Degenerierung der kommunistischen Parteien haben wesentlich dazu beigetragen, dass es kaum mehr Ansätze einer eigenständigen politischen Organisierung von Lohnabhängigen gibt, um als unabhängige Akteure für ihre Interessen als soziale Klasse einzustehen.

Zugleich haben sich mehr als 30 Jahre neoliberale Hegemonie längst tief im Bewusstsein der Menschen eingegraben. Der Neoliberalismus wurde gewissermaßen eine objektive Gegebenheit, die weiter reicht als die gerade dominierende Tagespolitik, also unser aller Handeln auf eine Weise (teilweise) strukturiert. Das bereits lange diskutierte Phänomen der Individualisierung erschwert gemeinschaftliche Erfahrungen, beispielsweise bei der Organisierung von Aktivitäten am Wohnungs- oder Arbeitsort, und damit auch die Entwicklung solidarischer Verbindungen. Darum können wir keine rasche Trendumkehr erwarten. Nur mit beständigen kollektiven Lernprozessen durch gemeinsames Handeln werden die Menschen sich wieder als gesellschaftliche Subjekte mit ihren Klasseninteressen verstehen.

Das historische Scheitern der klassischen Arbeiter_innenbewegung und die Wirkungen der neoliberalen Umgestaltung der Gesellschaft haben diese Individualisierung begünstig. Viele Menschen sehen in individuellen Schritten wie beispielsweise dem Abschluss von Versicherungen oder dem Konsum biologischer Lebensmittel ein wirksames Mittel die eigene Situation oder gar die gesellschaftliche Situation zu verbessern. Das sind Phänomene, die darauf hindeuten, dass die Lohnabhängigen, einerseits aufgrund ihrer als vielfältig unterschiedlich wahrgenommenen Lebensbedingungen und andererseits aufgrund des Mangels an jeglicher Erfahrungen kollektiver Aktivität nicht als angehörige einer sozialen Klasse empfinden.

Unter diesen Voraussetzungen steht die Entwicklung eines breiteren Widerstands gegen das reaktionäre Regierungsprogramm vor großen Herausforderungen. Wie mit Hilfe einer Methode von Übergangsforderungen und -perspektiven, konkrete Tagesforderungen und Organisierungsprojekte zu entwickeln sind, habe ich zusammen mit Verena Kreilinger an anderer Stelle vorgeschlagen.[6]

Die Herausforderungen in Österreich sind groß. Es geht um einen wirklichen Neuaufbau antikapitalistischer Kräfte. Ohne soziale Bewegungen ist das schwierig. Zentrale Aspekte dieses Neuaufbaus sind politische Klärungsprozesse und Initiativen zur Organisierung. Antikapitalistische Gruppierungen sollten sich an allen, auch bescheidenen, Formen des Widerstandes und der Selbstaktivität beteiligen. Jede Form von Selbstorganisation gegen Auswirkungen der Kürzungspolitik, gegen den zunehmenden Druck am Arbeitsplatz, gegen Einschränkungen demokratischer Teilhabe, gegen den Ausschluss von Teilen der Bevölkerung von sozialstaatlichen Leistungen ist zu unterstützen.

Die Herausforderung besteht darin, Forderungen und Perspektiven zu formulieren, die einerseits an konkreten Bedürfnissen von Lohnabhängigen und Auseinandersetzungen anknüpfen, diese in einem alternativen Programm zusammenzuführen und schließlich Vorschläge einzubringen, die den Rahmen der bestehenden Konkurrenz- und Profitlogik hinter sich lassen. Ein Beispiel für eine solche Vorgehensweise sind die Initiativen von Beschäftigten im Gesundheitswesen wie Pflege ist mehr Wert und „CareRevolution“. Auch der Widerstand gegen die Abschaffung der Unfallversicherung und der Unfallkrankenhäuser könnte mit derartigen Vorschlägen gestärkt werden. Solche Initiativen werfen die Frage auf, wie das Gesundheitswesen überhaupt jenseits der Warenlogik organisiert werden soll. Konsequent gedacht führt das mitunter zu einer Infragestellung der kapitalistischen Organisation von Pflegediensten, Krankenhäusern, Krankenversicherungen und Medikamentenherstellung. Gerade im öffentlichen Dienst geht es immer auch darum, die Beschäftigten und die NutzerInnen in einen fruchtbaren Dialog über gemeinsame Perspektiven für gute Arbeitsbedingungen und Qualität der Dienstleistungen zu bringen.

Antikapitalistische Organisationsprojekte haben sich einer dreifachen Herausforderung zu stellen.

Erstens ist eine politische Kraft zu entwickeln, die sich grundsätzlich der kapitalistischen Profit- und Konkurrenzlogik entgegenstellt. Die Organisation Aufbruch und das im Abschnitt 10 dieses Texts vorgestellte Projekt Föderation zu einer ökosozialistischen Alternative können hierzu einen Beitrag leisten. Die Herausforderung reicht aber weit über die Kapazitäten von Aufbruch hinaus. Eine relevante Kraft kann sich letztlich nur im Zuge gesellschaftlicher Bewegungen und Auseinandersetzungen entwickeln. Diese antikapitalistische Organisation soll zugleich eine offene Bündnispolitik auf konkreten Sachfragen mit allen Gruppierungen und Individuen betreiben, die sich der neoliberalen und neokonservativen Offensive entgegenstellen wollen. Je nach Auseinandersetzung und Thema können sich durchaus unterschiedliche Bündniskonstellationen ergeben.

Zweitens sind Aktivitäten zu entwickeln, die dazu beitragen, Lernprozesse, eine widerständige Praxis am Arbeitsplatz, am Wohnort, an der Uni und der Schule sowie überhaupt in der Gesellschaft zu befördern. Durch Selbstaktivität und Organisierung können sich die Menschen einbringen und als politische ProtagonistInnen verstehen lernen. Gewerkschaften, die alle lebensweltlichen Belange der Beschäftigten berücksichtigen, MieterInnenverbände, Umweltorganisationen, feministische und antirassistische Organisationen können derartige Selbstermächtigungen zum Ausdruck bringen. Entscheidend ist das wieder zu entwickelnde Verständnis einer unabhängigen und eigenständigen Organisierung.

Drittens stehen wir vor der Herausforderung, Programme zu formulieren, die einerseits an den real wahrgenommenen Problemen großer Teil der arbeitenden Bevölkerung ansetzen, von diesen verstanden werden und zugleich in eine Richtung jenseits der Profit- und Konkurrenzlogik hinausweisen. Es geht also um eine Programmatik, die ansatzweise Perspektiven eines Übergangs zu nicht-kapitalistischen und solidarischen Formen der Gesellschaft weist. Diese programmatische Arbeit ist europäisch, transnational und global auszurichten. Das geht letztlich selbstverständlich nur im internationalen Dialog mit ähnlich Gesinnten anderswo. Im Abschnitt 9 benenne ich fragend einige Herausforderungen und stütze mich hierbei auf die Methode.

Eine antikapitalistische Organisation, die zugleich radikal, also den Dingen auf den Grund geht, und flexibel breite Bündnisse gegen die neoliberale Offensive eingeht, sollte in der Lage sein, diese drei Ebenen miteinander zu verbinden. Linke Wahlbündnisse auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene, die versuchen, sozialem Widerstand und antikapitalistischen Ideen einen politischen Ausdruck zu verleihen und dazu beitragen die zerstreut wirkenden Aktiven zu organisieren, wäre in diesem Rahmen ein großer Fortschritt für die politischen Auseinandersetzungen. Eine Wiederholung von KPÖ PLUS Kandidaturen an Wahlen trüge allerdings gerade nicht zu solchen Prozessen bei. Es geht also nicht darum, (linke) Politik neu zusammenzusetzen (das Motto des Mosaik-Blogs) und allenfalls ein solidarisches Lager zu schaffen. Die Aufgabe ist fundamentaler: es geht um die Neuformierung der Linken und letztlich um den Neuaufbau sozialer und politischer Zusammenhänge, die auch ihren politischen Ausdruck finden sollen.

6. Warum braucht es eine antikapitalistische Organisation?

Immer wieder entstehen soziale Bewegungen, die sich mehr oder weniger kraftvoll auf bestimmten Themenfeldern gesellschaftlichen Missständen und bestimmten Projekten der Herrschenden entgegenstellen. Diese Bewegungen dauern zumeist nur eine beschränkte Zeit und verlieren dann wieder an Bedeutung, sei es weil sie einen Teil ihrer Forderungen durchsetzen konnten (was mittlerweile selten ist) oder sei es weil sie zu schwach sind und die daran beteiligten Aktivist_innen die Geduld verlieren. So kamen und verschwanden viele Bewegungen gegen Aspekte der Umweltzerstörung, gegen Kürzungen im Bildungsbereich, gegen internationale Verträge und Gipfeltreffen und allgemein gegen Vorhaben der Regierenden, die zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen geführt hätten bzw. haben.

Die Bewegung System Change not Climate Change bringt auf dem Feld der Klima- und Umweltpolitik viele Menschen zusammen, die durchaus nach radikalen Antworten suchen, aber sie fokussiert sich zur Recht auf einen bestimmten Themenbereich. Das erlaubt es Menschen mit unterschiedlichen Betroffenheiten und Positionen über den erforderlichen gesellschaftlichen Wandel anzusprechen. Initiativen gegen den Elternbeitrag im Kindergarten und Gebühren für Kinderbetreuung in Oberösterreich sind wichtig, um gegen die unsoziale Politik der Landesregierung anzugehen. Mit dem Frauenvolksbegehren drücken Hundertausende von Menschen ihren Willen aus, Diskriminierungen der Frauen endlich zu beenden. Vor 15 Jahren haben in Europa Millionen von Menschen gegen den Krieg der USA gegen die irakische Bevölkerung demonstriert. Das war eine starke und zugleich auch begrenzte Bewegung. Alle diese sozialen Bewegungen sind sehr wichtig. Sie beginnen viele Menschen für die gesellschaftliche Belange zu interessieren und machen sie zu handelnden Subjekten. Große Bewegungen können wirksam sein, wenn es ihnen gelingt die politischen Kräfteverhältnisse zu verändern.

Zugleich brauchen wir auch eine Organisation, die ausgehend von einer grundlegenden Ablehnung der kapitalistischen Produktions- und Herrschaftsweise organisierend eingreift; eine Organisation, die anderen gesellschaftlichen und politischen Kräften Vorschläge für Aktionseinheiten auf konkreten Sachfragen unterbreitet; eine Organisation, die auch durch ihr Beispiel von Initiative und solidarischem Verhalten zeigt, dass organisierte und solidarische Aktivität möglich ist und erfolgreich sein kann, die exemplarisch einen Beitrag zu einer nachhaltigen Kultur kämpferischer Solidarität leistet und sich gleichzeitig wertschätzend und solidarisch auf andere Organisationen und Bewegungen bezieht, eine Organisation, die hilft Erfahrungen auszutauschen und zu verarbeiten und vor allem eine Organisation, die kollektiv aus Niederlagen und Erfolgen lernt und damit selbst ein kollektives Gedächtnis entwickelt und zu einem breiteren kollektiven gesellschaftlichen Gedächtnis beiträgt, damit künftige Bewegungen besser für die unvermeidlichen Auseinandersetzungen vorbereitet sind.

Nur wenn sich die Menschen, die die kapitalistische Produktions- und Herrschaftsweise überwinden wollen, in einer Organisation zusammenschließen, die in der Lage ist, ein umfassendes Verständnis von der Gesellschaft zu entwickeln und darauf aufbauend Vorschläge für Kampagnen, Aktionen und Bündnisse zu entwickeln, gelingt es, das Kräfteverhältnis dauerhaft zu verändern. Diese Organisation muss den Anspruch haben, die Ausbeutungsverhältnisse, die geschlechtsspezifischen, die rassistischen und alle anderen Diskriminierungen zu überwinden. Die zentrale Herausforderung besteht darin, konkrete Aktivitäten zu entfalten, die dazu beitragen, dass sich die Lohnabhängigen in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit als Subjekte erfahren und fühlen, die Geschichte machen wollen. Nur durch Selbsttätigkeit können die Lohnabhängigen einen Prozess der sozialen Emanzipation vorantreiben.

Erforderlich ist eine Orientierung auf die Klasse der Lohnabhängigen in ihrer ganzen Vielfalt und Unterschiedlichkeit sowie eine längerfristig ausgerichtete Organisierungsarbeit. Die Lohnabhängigen, Deklassierten, Prekären, KleinstunternehmerInnen, MigrantInnen und die große Mehrheit der Frauen brauchen eine Organisation, die ihnen mit Rat und Tat beisteht, die sie unterstützt und die versucht, ihr Sprachrohr in der ihnen fremden Welt tendenziell autoritärer Institutionen zu sein. Eine solche Organisation fehlt seit vielen Jahrzehnten. Das ist bereits so lange her, dass das Bewusstsein über die Nützlichkeit einer solchen Organisation erloschen ist.

Was Organisierungsprozesse schwer macht, ist das Problem, dass die politische Neuformierung antikapitalistischer Kräfte nur verbunden mit einer sozialen Neuformierung der Lohnabhängigen als Klasse für sich zu verstehen ist. Die (scheinbare) Fragmentierung der subjektiven Lebenslagen und Auffächerung von politischen Sensibilitäten lässt sich nur im Zuge kollektiver Erfahrungen und Lernprozesse überwinden. Solche Prozesse im Rahmen von Aktivitäten und Selbsttätigkeit im Kleinen zu befördern, ist gegenwärtig eine der wichtigsten Aufgaben antikapitalistischer und sozialistischer Organisationen.

Antikapitalist_innen und Sozialist_innen können nicht auf vorfertigte Konzepte und Antworten setzen. Widerstand kann manchmal zu überraschenden Themen und Zeitpunkten entstehen. Um auf solche Entwicklungen reagieren zu können, bedarf es allerdings eines Grundverständnisses an wen und mit welchen Zielen wir uns als antikapitalistische und ökosozialistische Kraft richten.

Eine solche Organisation ist nicht ein Selbstzweck. Wir brauchen keinen Apparat, dessen Ziel es ist, sich selber zu erhalten. Eine antikapitalistische Organisation ist wichtig, weil sie ein wirksames Werkzeug sein kann, Erfahrungen zu verarbeiten, kollektiv zu lernen und auf dieser Grundlage besser politische Vorschläge einzubringen.

Eine wirksame Organisation muss den Menschen ermöglichen, an den Entscheidungen und an der Gestaltung der Orientierung und Aktivitäten teilzuhaben. Nur eine demokratische und pluralistische Organisation kann die sehr unterschiedlichen Erfahrungen zusammenbringen, in gegenseitigen Austausch bringen, Lernprozesse vorantreiben und aktionsfähig werden. Das heißt, eine solche Organisation muss ihren Mitgliedern auch das Recht zugestehen, sich in Strömungen und Plattformen zu organisieren. Um all diese Herausforderungen anzupacken braucht eine antikapitalistische Organisation mit einem ökosozialistischen Programm. Diese ökosozialistische Orientierung erkläre ich in Abschnitt 8.

Nun mögen einige Leser_innen einwenden, dass antikapitalistische Organisationen ja bereits bestehen. Ich erläutere hiermit, warum weder Aufbruch, noch die KPÖ, die SLP oder eine andere Kleingruppe wirklich auf der Höhe der Zeit ist und den gegenwärtigen Anforderungen entspricht. Der Blick auf diese Kräfte hilft auch die anschließend beschriebenen Schritte verständlich zu machen.

Mit Verena Kreilinger habe ich mehrere Diskussionsbeiträge zur Entwicklung von Aufbruch verfasst. Das will ich hier nicht wiederholen.[7] Aufbruch vermochte sich weder zu einem breiten Neuformierungsprojekt einer an radialen sozialen und ökologischen Reformen orientierten Linken noch zu einer handlungsfähigen antikapitalistischen Organisation zu entwickeln. Die in Aufbruch Aktiven haben allerdings wichtige Erfahrungen gemacht, die uns bei der Neuausrichtung von Aufbruch beziehungsweise einem Folgeprojekt von Aufbruch sehr nützlich sein können. Wichtig ist, dass wir von den gemeinsamen Erfahrungen lehren und uns über die Lehren auch wirklich konstruktiv austauschen.

Die KPÖ versuchte im Zuge ihrer Teilnahme an den Nationalratswahlen sowie bei den Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg sich als einzig übrig gebliebene Alternative darzustellen. Auch das ist gescheitert. Diese Wahlkampagnen waren im Wesentlichen sozialdemokratisch. Das Zusammengehen mit dem Rest der Jungen Grünen unter dem Namen PLUS ändert nichts an diesem Befund. Die Jungen Grünen haben ein Politikverständnis, das sich weniger mit inhaltlicher Klärung befasst als mit dem Aufbau eines organisatorischen Miniapparats. Genau darum fanden sie so gut mit der KPÖ zusammen. Die KPÖ sucht Junge, die Jungen Grünen suchen einen kleinen Pseudoparteiapparat und Finanzierungsquellen, die sie nach ihrem Rausschmiss bei den Grünen verloren haben. Das ist die Grundlage ihrer Zusammenarbeit, wenn sich die Jungen Grünen nun unter dem Namen Junge Linke als der KPÖ nahestehende Jugendorganisation profilieren wollen.

Sozialistische Gruppen der sogenannten neuen Linken aus dem 68er Aufbruch sind am Ende. Ein Beispiel ist die Sozialistische Alternative (SOAL), die in den 1970er und 1980er Jahren unter dem Namen Gruppe Revolutionäre Marxisten (GRM) in intellektuellen Milieus durchaus eine gewisse Wirkung entfalten könnte. Organisationen wie Sozialistische Linkspartei (SLP) oder auch die Linkswende versuchen sich gegenwärtig als alternative Kräfte darzustellen. Sie leiten ihre Politik aber weniger aus einer Analyse der konkreten Situation in Österreich als aus den (oftmals organisationsegoistischen) Vorgaben ihrer jeweiligen internationalen Strömungen ab. Dementsprechend oberflächlich sind ihre Analysen und ihr Politikverständnis. Ihr kurzatmiger Hyperaktivismus ist nicht tragfähig. Sie vermögen durchaus junge Leute zu rekrutieren, verlieren aber nach wenigen Jahren wieder viele Aktivist_innen.

Die in der Plattform Radikale Linke verbundenen Gruppen aus dem eher autonomen Antifa-Spektrum haben bewiesen, dass sie auf ausgewählten Themenbereichen handlungsfähig sind. Sie orientieren sich mit ihrer symbolischen Militanz und Radikalität jedoch bewusst auf Minderheiten der Gesellschaft. Bislang zeigten sie keinen Willen, auf eine breitere Neuformierung der antikapitalistischen Linken hinzuarbeiten und sich auf eine konkrete Aufbauarbeit in Betrieben und Stadtteilen einzulassen.

Wir müssen also konstatieren, dass eine offene, pluralistische und dennoch radikale antikapitalistische Organisation, die verschiedene Erfahrungen und Generationen zusammenbringt, in Österreich nicht existiert. Ein Blick zu den Neuformierungsprozessen in anderen Ländern hilft, unsere Situation in einen breiteren Kontext zu setzen und von anderen Projekten in Europa zu lernen. Allerdings sind die Bedingungen so unterschiedlich, dass wir einfache Analogieschlüsse vermeiden müssen. Wir müssen unseren Weg in Österreich selber finden.

7. Antikapitalistische Organisationen in Europa

In Europa entstanden seit den 1990er Jahren mehrere mehr oder weniger breite antikapitalistische Organisationen. Es lohnt sich, aus den Erfahrungen dieser Organisationen zu lernen. Doch würde es zu weit führen, in diesem Text diese Erfahrungen detailliert zu beschreiben und zu bewerten.

Doch es ist zu warnen vor voreiligen Schlüssen über die Erfolge gewisser Versuche und Erfahrungen. Die Erfahrungen in den einzelnen Ländern sind aufgrund der unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklungen und Traditionen jeweils sehr spezifisch. Es gibt schlicht kein Erfolgsmodell. Die Erfahrungen von Podemos, Momentum und Jeremy Corbyn, der Partei Die Linke, France Insoumise oder auch der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) lassen sich nicht kopieren.

Vor sogenannten „linkspopulistischen“ Verkürzungen und Abkürzungen ist zu warnen. Die von Jean-Luc Mélenchon, einem ehemaligen sozialdemokratischen Minister und Anhänger des ehemaligen Präsidenten Mitterand, geführte Bewegung La France Insoumise will die niedergehenden Parti Socialiste und Parti Communiste beerben. Mélenchons Politik hat eine offensichtlich nationalistische Schlagseite. Er pflegt eine geopolitische Sichtweise mit einer Verharmlosung von Diktaturen wie jener von Assad in Syrien oder Putin in Russland und einer völligen Verkennung des Desasters in Venezuela. Mélenchon präsentiert sich als starken Führer einer von oben strukturierten Bewegung. Er setzt nicht auf Selbstorganisation der Lohnabhängigen und die Unabhängigkeit der sozialen Bewegungen, sondern praktiziert schlicht eine Form des Substitutionalismus. Auch Podemos in Spanien hat eine autoritäre Schlagseite. Die Führung um Pablo Iglesisas und Íñigo Errejón greift von oben in die lokalen Gruppen ein. Sie ist mit ihrer dem spanischen Staat verhafteten Doktrin unfähig mit der Bewegung für demokratische Souveränität in Katalonien einen sinnvollen Dialog zu führen.

Interessant ist der Versuch einer Neuformierung mit Potere al Popolo in Italien. Doch auch dieses Projekt stützt auf historisch ganz andere Erfahrungen als in Österreich. In Italien gab es bis in die späten 1980er Jahre eine starke Kommunistische Partei. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und in den frühen 2000er Jahren zog die teilweise erneuerte Partito di Rifondazione Comunista zehntausende von Akitivist_innen aus sozialen Bewegungen an. Mit der zwischenzeitlichen Regierungsbeteiligung ab 2006 verspielte die Partei ihre Glaubwürdigkeit, spaltete sich danach mehrfach, ist nun aber Teil von Potere al Popolo.

Diese Erfahrungen sind interessant und es lohnt sich genauer hinzuschauen. Vor allem die Erfahrungen der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Frankreich und die Erfahrungen der Partei Die Linke Deutschland müssten wir uns genauer ansehen. Es lohnt sich aber auch in die stabile Schweiz zu schauen, wo es der Bewegung für den Sozialismus in Zürich und Basel gelungen ist, mit einem ziemlich bescheidenen, aber aktivistischen Ansatz eine dynamische kleine Organisation aufzubauen.

Offensichtlich ist, dass es keine Modelle gibt. Wir können nichts kopieren. Wir stehen schlicht vor der Herausforderung, in Österreich einen eigenen Weg zu beschreiten.

8. Widerstand gegen Regierung erfordert eine antikapitalistische Kraft mit einem ökosozialistischen Programm

Um den Widerstand gegen die neoliberale, neokonservative und reaktionäre Offensive wirksam und langfristig aufzubauen, braucht es eine antikapitalistische Kraft mit einem ökosozialistischen Programm. Ich erläutere kurz, warum ich den Begriff „ökosozialistisch“ grundsätzlich, strategisch und taktisch verwende.

Mit dem Begriff „ökosozialistisch“ zeigen wir, dass wir die kapitalistische Produktionsweise überwinden wollen und dass die gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen komplett miteinander verwoben anzupacken sind. Eine ökosozialistische Perspektive stellt radikal, das heißt an die Wurzel gehend, die kapitalistische Produktions- und Herrschaftsweise in Frage und lotet Möglichkeiten einer solidarischen Lebensweise und einer umfassenden sozialen Emanzipation aus.

Jeder Produktionsprozesse und jeder Konsumvorgang ist immer auch ein Stoffwechselprozess des Menschen mit der Natur, oftmals im Weltmaßstab. Das drückt sich namentlich in der Klimaerwärmung und den durch diese hervorgerufen gesellschaftlichen Herausforderungen aus. Indem wir die Produktion und den Konsum gesellschaftlich aneignen, wollen wir diese auch ökologisch organisieren. Der Begriff „ökosozialistisch“ ist noch relativ offen und genau das ist eine Chance. Das ist allerdings auch eine Selbstverpflichtung diese Perspektive auch inhaltlich und strategisch genauer zu bestimmen. Die Begriffe „sozialistisch“ und „kommunistisch“ wurden zwar historisch durch den Stalinismus, die Sozialdemokratie und teilweise auch populistische Bewegungen diskreditiert. Noch immer verbinden aber Millionen von Menschen in Europa mit dem Begriff „sozialistisch“ die unscharfe Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft. Mit dem Begriff „ökosozialistisch“ geben wir eine Alternative an, die noch unklar und neu zu denken ist. Eine ökosozialistische Perspektive stellt radikal, das heißt an die Wurzel gehend, die kapitalistische Produktions- und Herrschaftsweise in Frage und lotet Möglichkeiten einer solidarischen Lebensweise und umfassenden sozialen Emanzipation aus. Das stellt uns vor eine riesige Herausforderung und wirft zugleich zahlreiche Fragen auf. Die Diskussionen hierüber führen wir gerne. Wir wollen mit den Menschen über unsere gesellschaftlichen Alternativen diskutieren und sie von radikalen alternativen Perspektiven überzeugen.

Strategisch stehen wir vor dem Problem, dass keineswegs sicher ist, dass eine breite Protestbewegung gegen die Regierung entsteht. Wahrscheinlicher ist, dass wir vor einer längeren Phase mit viel grundsätzlicher Erklärungsarbeit und kleinen Kampagnen stehen. Das heißt, dass wir unser Organisationsprojekt langsam aufbauen und gesellschaftlich verankern müssen, nicht nur in Wien, sondern auch in Vorarlberg, Tirol, Kärnten, Salzburg, in der Steiermark, in Oberösterreich, Niederösterreich und im Burgenland. Das wird nur langsam vorwärts gehen. Wir müssen uns ein Profil erarbeiten, Projekte formulieren, Kampagnen durchführen und vor allem unzählige, bisweilen schwierige Diskussionen führen. Mit diesen Kampagnen konkretisieren wir ein radikales ökosozialistisches Profil und diese grundsätzliche Orientierung hilft wiederum unseren Kampagnen und Aktivitäten verständliche und scharfe Konturen zu verleihen.

Der Begriff „ökosozialistisch“ ist zudem eine radikale Antwort auf die unverbindlichen bürgerlichen Vorstellungen der ökosozialen Wirtschaft und der reformerischen Konzepten einer sozial-ökologischen Transition. Beide Begriffe sind auch in fortschrittlichen Kreisen en vogue und suggerieren, dass sich die Umweltzerstörung im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise aufheben lasse. Als Aufbruch für eine ökosozialistische Alternative argumentieren wir hingegen, dass wir die Herausforderungen der durch die Umweltzerstörung ausgelösten gesellschaftlichen Krisen nur mit einem Bruch zur bestehenden Ordnung anpacken können.

Eine taktische Erwägung kann für den Begriff „ökosozialistisch“ sprechen. In Österreich ist die Sensibilität für Umweltprobleme vergleichsweise hoch. Die Grüne Partei ist allerdings eine bürgerliche Partei und gibt vor, die Umweltzerstörung im Rahmen der kapitalistischen Profit- und Konkurrenzmaschinerie lösen zu wollen. Die Partei hat sich im Laufe der letzten Jahre deutlich nach rechts bewegt. Sie hat nahezu jeglichen Bezug zu sozialen Protestbewegungen und zu einem radikalen Ökologieverständnis aufgegeben, sofern sie das überhaupt je hatte. Viele Menschen, die den Problemen stärker auf den Grund gehen wollen, wenden sich enttäuschst von der Grünen Partei ab, ohne eine Alternative vorzufinden. Mit Menschen, die sich gegen den Klimawandel stellen und stattdessen eine radikale Veränderung des Wirtschaftssystems anstreben, können wir mit dem Begriff „ökosozialistisch“ in einen fruchtbaren Dialog treten.

Der Begriff „ökosozialistisch“ ist also auch eine Selbstverpflichtung, unsere programmatischen Grundlagen ständig zu überdenken und zu überarbeiten. Wir stehen hierbei allerdings nicht am Anfang. Verschiedene Personen und Organisationen haben bereits wichtige Beiträge für eine ökosozialistische Perspektive formuliert, an denen wir anknüpfen können. Ganz besonders hebe ich hier die Arbeiten des kürzlich leider verstorbenen Elmar Altvater hervor.[8] Die Resolution „Die kapitalistische Zerstörung der Umwelt und die ökosozialistische Alternative“ der Vierten Internationale zu ihrem Weltkongress 2018[9] fasst viele bisherige Erkenntnisse zusammen und schlägt eine interessante globale ökosozialistische Perspektive vor. Dieses Dokument verdient es, beachtet zu werden, unabhängig davon, wie man zur Geschichte und zum Projekt der Vieren Internationale steht. Konkrete Handlungsanleitungen für uns Österreich lassen sich allerdings aus diesem Dokument nicht ableiten. Aber es inspiriert uns, eine hier angepasste ökosozialistische Programmatik selber zu erarbeiten.

9. In Bewegung kommen

Der Widerstand gegen die neokonservative und reaktionäre Gegenreform ist gegenwärtig schwach. Diese Schwäche ist auch ein Ergebnis der Orientierungslosigkeit der Gewerkschaften und der kompletten Eingliederung der SPÖ in das Herrschaftssystem. Die antikapitalistischen Gruppen sind zersplittert und konzeptlos. Es gilt in ausgewählten Feldern konkreten Widerstand zu entwickeln, ganz besonders gegen die Abschaffung der Notstandshilfe, die Kürzung der Mindestsicherung für Migrant_innen, die Restrukturierungen der Krankenversicherungen und die Umwelt zerstörende Projekte wie die Erweiterung des Flughafens Wien.[10]

Solche Aktivitäten werden ein wichtiger Ansatz für einen Neubeginn antikapitalistischer und ökosozialistischer Politik sein. Es kann durchaus gelingen, einige Vorhaben der rechten Regierung zu stoppen. Doch solche Bewegungen alleine werden das Kräfteverhältnis kaum substanziell verändern. Es gibt keine kurzfristigen Lösungen. Vielmehr müssen wir uns auf langwierige und schwierige Kleinarbeit einstellen. Dringend sind alternative politische Perspektiven zu erarbeiten und zu organisieren. Das erfordert Zeit und Geduld. Im Kontext der gegenwärtigen Auseinandersetzungen stellen sich wichtige gesellschaftliche und politische Fragen, die allerdings weit über die unmittelbare Abwehr des neoliberalen und neokonservativen Vormarschs hinausgehen. Entsprechend der in Abschnitt 5 Mit welchen Perspektiven wieder vorwärts gehen dargestellten Herausforderungen und Sinne der dort unter „drittens“ vorgestellten Methode benenne ich hier sechzehn Fragen, deren Beantwortung über die Profit- und Konkurrenzlogik hinausweisen sollte.

  1. Wie können wir uns der Offensive des Bürgertums zur Arbeitsflexibilisierung wirksam entgegenstellen? Wie können wir insbesondere Frauen ansprechen, die stark unter einem flexiblen Arbeitszeitregime leiden? Wie lässt sich der Arbeitszeitflexibilisierung die Forderung nach einer allgemeinen radikalen Arbeitszeitverkürzung auf eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich entgegensetzen? Hierbei ist zu vermeiden, dass die Unternehmen die Arbeitszeitverkürzung mit einer Verdichtung und Flexibilisierung der Arbeit durchkreuzen. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ist mit einer Reorganisation der Arbeit in und zwischen den Betrieben sowie einer Neuorganisierung der reproduktiven und der freien Zeit in der gesamten Gesellschaft zu verbinden. Die konsequente Arbeitsverkürzung ist ein zentrales ökologisches Anliegen, weil sie die Frage aufwirft, ob die Erträge der Produktivitätssteigerungen in immer mehr Waren oder in mehr freier Zeit für die Arbeitenden umgesetzt werden.
  2. Wie können wir die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die damit verbundenen patriarchalen Herrschaftsverhältnisse zurückdrängen und aufheben? Wie kann der Forderung von gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit Nachdruck verliehen werden? Neben einer radikalen Arbeitszeitverkürzung, stellt sich die Frage nach der Aufteilung der Hausarbeit und Formen der Vergesellschaftung von Haus- und Pflegearbeit. Wie kann diese gesellschaftlich organisiert werden?
  3. Wie können wir eine gute Bildung für alle hier lebenden Menschen verwirklichen; eine Bildung, die dazu beiträgt, dass sich die Menschen als aktive Gesellschaftsmitglieder verstehen und an gesellschaftlichen Emanzipationsprozessen beteiligen? Welches Verständnis von beruflicher Ausbildung können wir entwickeln und durchsetzen, so dass Eingeborene und Zugewanderte sich in einer Weise qualifizieren, die ihnen hilft, ihre Arbeitskraft gut und teuer zu verkaufen?
  4. Wie sind die Sozialversicherungen zu organisieren, damit alle EinwohnerInnen dieses Landes den gleichen Versicherungsschutz genießen? Viel deutet darauf hin, dass wir hier Vorschläge entwickeln müssen, die an den gewachsenen Strukturen rütteln. Die bestehenden Strukturen sind Ergebnis der sozialpartnerschaftlichen Praxis und haben zahlreiche relative Privilegien für einzelne Gruppen geschaffen. Wir sollten der bürgerlichen Gegenreform ein Modell einer öffentlichen Einheitskrankenversicherung, die von den Beschäftigten und den Versicherten kontrolliert wird, gegenüberstellen.
  5. Wie hat die Altersvorsorge auszusehen, damit sie allen ein würdiges Altern erlaubt? Die Antwort muss konsequent die kapitalgedeckten Versicherungssysteme in Frage stellen. Bei diesem zunehmend propagierten Verfahren zahlen die Beschäftigten (erzwungenermaßen) Lohnprozente in einen Fonds ein, dessen Mittel zur finanziellen Akkumulation auf den Finanzmärkten und Immobilienmärkten angelegt werden, um eine gewisse Verzinsung zu erzielen. Demgegenüber ist das solidarische Umlageverfahren auszubauen. Hier zahlen die Berufstätigen für die heutigen RentnerInnen in die Kasse ein. Das Umlagesystem ist effizienter und solidarischer und erlaubt es die Produktivitätsgewinne der Gesellschaft gerechter zu verteilen.
  6. Wie können wir das Gesundheitswesen so organisieren, dass allen ein Recht auf eine gute und angemessene Gesundheitsversorgung zusteht? Das geht nur, indem es gelingt, den Warencharakter der Gesundheitsdienstleistungen und Medikamente zurückzudrängen und die Krankenhäuser, Krankenversicherungen und Pharmaindustrie unter demokratische öffentliche Kontrolle zu stellen.
  7. Wie organisieren wir unsere Städte und Siedlungen so, dass alle Menschen gut wohnen und ihren Verkehrsaufwand minimieren können. Die Wohnungsfrage ist eine soziale und ökologische Herausforderung gleichermaßen. Wir müssen das private Eigentum an Boden und Immobilien zugunsten eines kommunalen Eigentums in Frage stellen. Viele Wohnungen sind nicht zum Wohnen da, sondern dienen der Erzielung von Rentenerträgen. Lehrstehende Wohnungen und Spekulation kommen einem gesellschaftlichen und ökologischen Verschleiß gleich. Wir brauchen einen kommunalen Wohnbau und Gesetze, die dem Lehrstand und der Preistreiberei entgegenwirken
  8. Wie sieht ein Transportsystem aus, das einerseits einen gerechten Zugang zu Mobilitätsmöglichkeiten zulässt und andererseits den Ressourcenverbrauch reduziert? Der individuelle Automobilverkehr ist massiv zu reduzieren und in Städten letztlich in Frage zu stellen. Zugleich ist der öffentliche Verkehr auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene auszubauen. Kollektive Nutzungsformen des effizienter und ressourcensparender. Das wirft auch die Frage nach neuen öffentlichen Eigentumsformen und demokratischen Teilhabemöglichkeiten auf.
  9. Wie produzieren wir den Energiebedarf? Die Klimaerwärmung zwingt uns aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. Die Flexibilität und Modularität erneuerbarer Energien ermöglicht neue ökosozialistische Strukturreformen, die eine dezentralisierte territoriale Entwicklung in die Wege leiten. Hierfür bedarf es der demokratischen gesellschaftlichen Aneignung der örtlich verfügbaren erneuerbaren Energieressourcen und deren Nutzung durch lokale Gemeinschaften in den Städten und Regionen.
  10. Wie wollen wir Produktion und Konsum mit Lebensmitteln organisieren? Die industrielle Landwirtschaft ist für einen beträchtlichen Teil der Treibhausgasemissionen sowie der Degradation und chemischen Kontamination der Böden verantwortlich. Die Umstellung auf biologische Land- und Forstwirtschaft braucht wesentlich mehr Arbeitskräfte, ebenso die Pflege von Landschaften. Es bedarf daher einer Aufwertung landwirtschaftlicher Berufe. Dieser Umbau der Landwirtschaft kann allerdings nicht durch individuelle Kleinbauern geschehen. Eine Vergemeinschaftung des Bodens und die Formierung von Produktions- und Vertriebsgenossenschaften erlaubt es die Arbeit besser aufzuteilen und die Arbeitsbedingungen deutlich zu verbessern.
  11. Wie wollen wir Produktion und Konsum ganz allgemein organisieren, um den Verschleiß natürlicher Ressourcen, die Zerstörung von Natur und den Klimawandel in Grenzen zu halten? Es geht nicht nur darum die „imperiale Lebensweise“, sondern die kapitalistische und damit imperialistische Produktions-, Konsum- und Herrschaftsweise in Frage zu stellen. Die ungleiche kapitalistische Entwicklung und die imperialistische Dominanz bedeuten, dass die Ausbeutungsbedingungen auch in den dominierenden Ländern gesteigert werden können, weil das Kapital dank der günstig importierten Konsumgüter die Löhne hier drücken kann.
  12. Es gilt den Gebrauchswert in den Vordergrund der Überlegungen über die Organisation der Produktion zu stellen. Das bedeutet perspektivisch die gesellschaftliche Aneignung der Investitionstätigkeit, um den ökologischen Umbau und Rückbau ganzer Industrien durchzusetzen und weniger ungleiche Austauschbeziehungen mit anderen Teilen der Welt zu etablieren. Diese ökologische Konversion der Industrieproduktion ist allerdings nur möglich, wenn wir die Beschäftigten von deren Notwendigkeit überzeugen. Das heißt, wir müssen immer wieder konkrete Vorschläge entwickeln, wie wir den legitimen Wunsch nach Arbeitsplatzsicherheit und guten Löhnen, mit einer Perspektive der guten und sinnvollen Arbeit und der ökologischen Tragfähigkeit verbinden. Das ist nicht nur eine intellektuelle Herausforderung, sondern erfordert den konkreten Dialog mit den Beschäftigten und zeigt wie wichtig es ist, Initiativen der Selbstorganisation in Betrieben zu unterstützen.
  13. Wie wollen wir das Finanzsystem organisieren, so dass es der Finanzierung der Herstellung und des Vertriebs von Gebrauchswerten dient? Die gesellschaftliche Aneignung des Finanzsektors, also der Banken, der Fonds, der Versicherungen und der Börsen, ist unabdingbar, um ihn massiv zu reduzieren und so umzubauen, dass er wirklich gesellschaftlich und ökologisch nachhaltige Produktionsstrukturen und -prozesse finanziert.
  14. Wie können wir uns der Stärkung der Exekutiven und den Tendenzen eines autoritären Staates mit einer Ausweitung der demokratischen Möglichkeiten entgegensetzen und zwar so, dass die demokratische Teilhabe über den Nationalstaat hinausreicht und schließlich auch die strategischen Investitionsentscheidungen in der Wirtschaft erfasst?
  15. Wie können wir die betroffenen Lohnabhängigen in konzeptionelle Arbeit zur Beantwortung dieser Fragen einbeziehen? Antworten werden auch durch Erfahrungen in konkreten Auseinandersetzungen und Versuchen gewonnen. Es geht also um die Organisierung gesellschaftlicher Lernprozesse. Mit diesen Lernprozessen kann auch ein Bewusstseinswandel einhergehen, der dazu führt, dass die Menschen ihrer Teilhabe an der gesellschaftlichen Kontrolle und Gestaltung der Produktion sowie selbstgestalteter nicht-entfremdeter Arbeit größere Bedeutung bemessen als der Anhäufung materieller Dinge.
  16. Wie beantworten wir alle genannten Fragen auf eine Weise, dass wir sowohl die Klassenverhältnisse als auch die Geschlechterverhältnisse und weitere Herrschafts -und Unterdrückungsverhältnisse im Blick haben und damit beitragen, Ausbeutung und alle Formen der Unterdrückung zurückzudrängen. Wir beginnen mit einer Vorstellung umfassender sozialer und demokratischer Rechte, die auf verschiedenen Maßstabsebenen in durchaus unterschiedlicher Form durchgesetzt werden können.

Die Antworten auf diese Fragen sind nicht leicht und sie hängen davon ab, ob sich die Menschen in Bewegung setzen, sich aktiv für ihre Belange einsetzen: am Arbeitsplatz, an der Bildungseinrichtung, am Wohnort, im öffentlichen Raum, bei den öffentlichen Diensten und der gesellschaftlichen Infrastruktur. Die Emanzipation der Lohnabhängigen, Ausbeuteten und Unterdrückten kann nur das Werk dieser selbst sein. Die Gewerkschaften, die Frauenbewegung, die Umweltbewegung und alle Initiativen zur Selbstorganisation können hierfür einen wichtigen Beitrag leisten.

Die politische Bewegung Aufbruch hat sich gegründet, um Aktivitäten und Mobilisierungen gegen die neoliberale und neokonservative Offensive zu unterstützen und voranzutreiben und vor allem um als politische Kraft das Kräfteverhältnis zugunsten kapitalismuskritischer Kräfte zu verschieben. Diese Ziele sind umfassend. In den ersten zwei Jahren haben wir wichtige Erfahrungen gemacht. Nun gilt  es Perspektiven zu erarbeiten, die über die kapitalistische Produktions- und Herrschaftsweise hinausweisen. Wir wollen die sozialen und ökologischen Herausforderungen gemeinsam denken. Wir setzen dem neoliberalen und neokonservativen Abbruch die Perspektiven eines ökosozialistischen Aufbruchs[11] gegenüber.

10. Aufbruch für eine ökosozialistische Alternative

Der Weg zu der im Abschnitt 6 begründeten und kurz beschriebenen antikapitalistische Organisation in Österreich ist steinig und hindernisreich. Dennoch schlage ich den Aktiven in Aufbruch und ähnlichen Gruppen in Österreich vor, diesen Weg weiter zu beschreiten, auch wenn noch nicht alle Weggabelungen, Steigungen und Abgründe erkennbar sind. Als ersten Zwischenschritt schlage ich die Zusammenarbeit der Gruppen und Mitglieder von Aufbruch sowie anderer interessierter Gruppen und Personen in einem gemeinsamen Projekt eines Aufbruchs für eine ökosozialistische Alternative vor.

Jedes vernünftige politische Organisationsprojekt beruht auf programmatischer Klärung. Das war eine Schwäche von Aufbruch. Die beteiligten Gruppen und Personen sollten ernsthaft versuchen, eine Konvergenz ihrer Positionen, Herangehensweisen und praktischen Aktivitäten herzustellen.

Dieses Projekt hat vorerst einen föderativen Charakter. Es besteht aus lokalen und thematischen Gruppen sowie Einzelpersonen, die sich mit seinen grundlegenden Zielen und Methoden einverstanden erklären. Das können lokale und thematische Gruppen von Aufbruch, andere Gruppe und politische Organisationen sein. Schließen sich aus einer Stadt mehrere lokale Gruppen der Föderation an, koordinieren diese auf lokaler Ebene ihre Aktivitäten und initiieren eine regelmäßige Zusammenarbeit. Aktive lokale Gruppen sind also die Basis des Projekts.

Diese lokalen und thematischen Gruppen konzipieren ihre Politik und Aufbauprojekte vorerst eigenständig, sprechen sich dabei allerdings mit den anderen an der Föderation beteiligten Gruppen ab. Dabei versuchen die beteiligten Gruppen voneinander zu lernen. Die lokalen Gruppen orientieren sich auf einen langfristig ausgerichteten Aufbau in ausgewählten Bereichen der Gesellschaft. Die lokalen Gruppen beteiligen sich gemäß ihren Kräften an lokalen Bündnissen und entwickeln in konkreten Sachfragen eine möglichst breite Einheitspolitik und zugleich auch ihre eigene Interventionsfähigkeit. Die beteiligten Gruppen betreiben eine systematische Bildungsarbeit und sprechen sich hierbei mit den anderen Gruppen ab.

Die Föderation der Gruppen äußert sich in einer gemeinsamen Koordination, die sich jährlich etwa viermal trifft. Jede Gruppe entsendet mindestens zwei Mitglieder in die Koordination. Die Koordination organisiert jährlich einmal eine Versammlung aller Beteiligten. Die Koordination koordiniert die politische Bildungsarbeit der lokalen Gruppen und organisiert selber Bildungsveranstaltungen.

Die beteiligten Gruppen verpflichten sich im Zusammenhang mit ihrer gemeinsamen Bildungsarbeit auch eine gemeinsame programmatische Arbeit voranzutreiben. Dabei geht es nicht darum, eine Einheitsposition auf bestimmten Fragen zu bestimmen, sondern eine wirkliche Konvergenz in den politischen Grundlagen zu erarbeiten.

Nach ausführlicher Konsultation mit den beteiligten Gruppen kann die Koordination der gesamten Föderation auch bundesweite Stellungnahmen publizieren und sich im Namen aller beteiligten Gruppen an Bündnissen beteiligen.

Die Koordination der Föderation kann auch zu Organisationen und ähnlichen Projekten in anderen Ländern Kontakte zu pflegen, ohne allerdings die erforderlichen Debatten über eine weitergehende internationale Vernetzung vorwegzunehmen.

Die föderativen Organisationsstrukturen sind kein Ziel an sich. Wir wählen sie, weil sie der gegenwärtigen Situation am angemessensten erscheinen. Konvergieren die beteiligten Gruppen strategisch und methodisch, kann zu einem späteren Zeitpunkt die Gründung einer österreichweiten Organisation ins Auge gefasst werden.

Nun fragen sicherlich Personen, die in Aufbruch aktiv sind oder waren, worin sich dieses Projekt von Aufbruch unterscheide. Aufbruch hat den erforderlichen politischen Klärungsprozess zwar angefangen, aber nicht entschlossen vorangetrieben. Dieser Aufgabe können wir uns nicht entziehen. Sinnvollerweise begänne Aufbruch selber in diese Richtung zu arbeiten. Allerdings ist unklar, ob Aufbruch das schafft. Zugleich gibt es in verschiedenen Städten Gruppen, die an einer derartigen Föderation interessiert sein könnten, aber nicht Teil von Aufbruch sind. Deshalb schlage ich vor, organisatorisch offen und beweglich zu handeln und zugleich aber die politische Grundlage bewusst zu klären und zu schärfen. Lassen wir die strukturellen Diskussionen vorerst im Hintergrund und konzentrieren wir uns darauf, was uns inhaltlich verbindet.

Konkrete Schritte und gemeinsame Diskussion

Anlässlich des EU-Gipfels am 20. September organisiert Aufbruch Salzburg am 15. September eine Konferenz unter dem Titel „Gegen die EU der Banken und Konzerne: Für ein demokratisches, solidarisches und ökologisches Europa!“ Am 16. September laden wir alle Interessierten zu einem Treffen ein, um einen Meinungsaustausch über die Grundlagen und Perspektiven der hier vorgeschlagenen  Kooperation eines Aufbruchs für eine ökosozialistische Alternative zu beginnen.

Das Treffen dauert voraussichtlich von 10:00 –17:00 Uhr. Wir haben einen gemütlichen Raum für rund 30 Personen mit Küche und benachbarter Wiese reserviert.

Worüber wollen wir uns an diesem Treffen unterhalten?

  • Wie schätzen wir die Situation in Österreich im europäischen Kontext ein?
  • Auf welchen Fragen und wie können wir gemeinsam in Österreich eingreifen?
  • Auf welcher politischen Grundlage können wir in Österreich einen Konvergenzprozess der verschiedenen antikapitalistischen Initiativen voranbringen?
  • Welche Rolle können bei diesem Prozess aktive lokale Gruppen einnehmen?
  • Wie arbeiten wir praktisch und konkret zusammen?
  • Wie erarbeiten wir einen Arbeitsplan zur Erarbeitung eines ökosozialistischen Programms?

Wer am Treffen am 16. September in Salzburg teilnehmen möchte, melde sich bitte bis 2. September unter kontakt@aufbruch-salzburg.org an. Gerne nehmen wir im Vorfeld schriftliche Diskussionsbeiträge entgegen und stellen sie den angemeldeten Personen zur Verfügung.

[1] Lukas Kastner, Karolin Kautzschmann, Verena Kreilinger, Rio Mäuerle, Christian Zeller: Widerstand gegen rechte Offensive vorbereiten – für eine Einheitsliste KPÖ-Aufbruch!  18. Mai 2017 http://www.aufbruch-salzburg.org/widerstand-gegen-rechte-offensive-vorbereiten-fuer-eine-einheitsliste-kpoe-aufbruch

Verena Kreilinger und Christian Zeller: Antikapitalistische Perspektiven in Österreich entwickeln. 22. Dezember 2018 http://www.aufbruch-salzburg.org/antikapitalistische-perspektiven

[2] Ich verwende den Begriff Kapital in einem dreifachen Sinne. Alle drei Bedeutungen sind gemeinsam zu denken. Erstens ist Kapital eine Wertsumme, deren Zweck darin besteht, sich zu vermehren, also zu akkumulieren. Zweitens musst diese Wertsumme immer in Bewegung sein: Geld – Waren – mehr Geld, Geld – Waren – Arbeitskräfte + Produktionsmittel – neue Waren – mehr Geld. Für das Finanzkapital heißt das ganz einfach Geld – mehr Geld. Die Kette darf nicht reißen. Wenn das passiert, entwertet sich das Kapital. Das ist eine Krise. Drittens ist das Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis. Das Kapital akkumuliert und bewegt sich nicht selber. Es ist unsere lebendige Arbeit, die das Kapital bewegt. Ohne Arbeit wäre das Kapital nichts mehr Wert. Das Kapital muss sich deshalb die Arbeit unterwerfen.

[3] Als Lohnabhängige bezeichne ich alle Menschen, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft unter mehr oder weniger prekären Bedingungen gegen einen Lohn zu verkaufen. Dazu zählen letztlich alle Menschen, die nicht von ihren Kapitalerträgen leben können. Das heißt Studierende, Prekäre, Kleinstunternehmer_innen, in Haushalten arbeitende Frauen, Rentner_innen zählen alle zu den Lohnabhängigen, denn sie leben von ihrem Lohn, dem Lohn eines Familienmitglieds oder der Rente, die durch frühere Lohnarbeit erarbeitet wurde. Der Begriff Lohnabhängige bezeichnet also eine objektive gesellschaftliche Rolle, unabhängig davon, welchem Milieu oder welcher Schicht sich bestimmte Lohnabhängige selber zurechnen.

[4] Mit Imperialismus bezeichne ich eine Herrschaftsweise, die auf Kapitalexport und globaler Expansion beruht und diese Prozesse mit staatlicher Macht und Gewalt durchsetzen will. Der Imperialismus hat sich große Teile der vormals nicht-kapitalistischen Welt erschlossen und ist bestrebt diese Dominanz aufrechtzuerhalten. Die imperialistischen Mächte stehen allerdings auch in Rivalität zueinander. So verstanden sind auch Länder wie die Schweiz und Österreich imperialistisch, allerdings auf ihre spezifische ökonomische und nicht-militärische Weise.

[5] Der absolute Mehrwert lässt sich durch eine Verlängerung der unbezahlten Mehrarbeit steigern (unbezahlte Überstunden, Verdichtung der Arbeit durch Flexibilisierung, Reduktion des Lohns). Der relative Mehrwert lässt sich durch eine Verringerung der zur Reproduktion der Arbeit notwendigen Arbeit steigern (günstigere Lebensmittel und Konsumgüter durch Billigimporte, Produktivitätssteigerungen). Lohnunterschiede haben eine starke geschlechtsspezifische Dimension. Unbezahlte Hausarbeit senkt ebenfalls die Reproduktionskosten.

[6] Verena Kreilinger und Christian Zeller: Antikapitalistische Perspektiven in Österreich entwickeln. 22. Dezember 2018, Abschnitte 6-10. Ich übernehme ich die zentralen Aussagen des 9. Abschnitts <http://www.oekosoz.org/antikapitalistische-perspektiven>

[7] Verena Kreilinger und Christian Zeller: Antikapitalistische Perspektiven in Österreich entwickeln. 22. Dezember 2018 <http://www.oekosoz.org/antikapitalistische-perspektiven>.

Verena Kreilinger: Neustart wohin? Neuaufbau einer antikapitalistischen Kraft statt Erfindung eines dritten Pols. 28. November 2017 <http://www.oekosoz.org/neustart-wohin> Christian Zeller: Schlammschlacht der Politkaste als Vorspiel zur autoritären Wende, 8. Oktober 2017 <http://www.aufbruch-salzburg.org/schlammschlacht-der-politkaste> Lukas Kastner, Karolin Kautzschmann, Verena Kreilinger, Rio Mäuerle, Christian Zeller: Widerstand gegen rechte Offensive vorbereiten – für eine Einheitsliste KPÖ-Aufbruch!  18. Mai 2017 http://www.oekosoz.org/widerstand-gegen-rechte-offensive-vorbereiten-fuer-eine-einheitsliste-kpoe-aufbruch

[8] Gute Einstiege in das Denken von Elmar Altvater bieten das Interview «Wer von der Akkumulation des Kapitals nicht reden will, soll zum Wachstum schweigen» Christian Zeller im Gespräch mit Elmar Altvater in Emanzipation 1 (1) , S. 1-21 <http://www.emanzipation.org/articles/em_1-1/e_1-1_interview_altvater.pdf>, Altvater (2013): Wachstum, Globalisierung, Anthropozän. Steigerungsformen einer zerstörerischen Wirtschaftsweise. Emanzipation 3 (1), S. 71-88 <http://www.emanzipation.org/articles/em_3-1/e_3-1_altvater.pdf> und Altvater (2018): Kapitalozän. Der Kapitalismus schreibt Erdgeschichte. Zeitschrift Luxemburg <https://www.zeitschrift-luxemburg.de/kapitalozaen/>.

[9] Resolution „Die kapitalistische Zerstörung der Umwelt und die ökosozialistische Alternative“ der Vierten Internationale zu ihrem Weltkongress 2018 http://intersoz.org/die-kapitalistische-zerstoerung-der-umwelt-und-die-oekosozialistische-alternative/

[10] Dieser Abschnitt übernimmt und ergänzt die Vorschläge, die ich zusammen mit Verena Kreilinger formuliert habe. Verena Kreilinger und Christian Zeller: Antikapitalistische Perspektiven in Österreich entwickeln. 22. Dezember 2018 <http://www.oekosoz.org/antikapitalistische-perspektiven>. 10. Abschnitt.

[11] Siehe den Entwurf des Orientierungstextes von Aufbruch Salzburg Zur gesellschaftlichen Aneignung und Emanzipation. http://www.oekosoz.org/diskussion/diskussionen/programm/

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