Im Klimavertrag, der 2015 in Paris unterzeichnet wurde, verpflichteten sich die Staaten, die Erderwärmung auf «deutlich unter» 2°C zu limitieren. Damals war noch wenig bekannt über die Folgen einer solchen Erwärmung und die dafür notwendigen Treibhausgasreduktionen. Deshalb wurde der Weltklimarat damit beauftragt, einen Sonderbericht zur 1.5°C-Erwärmung zu erstellen. Dieser wurde nun am 8. Oktober 2018, zwei Monate vor dem Klimagipfel in Polen, veröffentlicht.
von Luca Caplero, aus sozialismus.ch, 9. Oktober 2018
Die Befunde des Berichts sind alarmierend. Im Vergleich zu 1.5°C würde eine Erwärmung von 2°C viel gravierendere Folgen haben. Die extremen Wetterereignisse würden zunehmen, zwischen 1.5 bis 2.5 Millionen Quadratkilometer Permafrost (das 35- bis 60-fache der Fläche der Schweiz) würde zusätzlich auftauen und das Artensterben noch schlimmere Ausmasse annehmen. Ausserdem würde bei einer Erwärmung von 2°C der Meeresspiegel bis 2100 um weitere 10 cm ansteigen, wodurch zusätzliche 10 Millionen Menschen betroffen wären.
Es muss somit alles darangesetzt werden, die 1.5°C einzuhalten. Laut Weltklimarat ist ein solches Szenario «technisch möglich», es braucht allerdings «schnelle und tiefgreifende Veränderungen». Übersetzt bedeutet dieser politisch eher vorsichtige Jargon des Weltklimarats nichts anderes als radikale Veränderungen in der Energieproduktion, der Landnutzung, der Städteplanung und der industriellen Produktion. So müssen bis 2030 die CO2-Emissionen im Vergleich zu 2010 um 45% gesenkt werden und bis ungefähr 2050 braucht es Emissionsneutralität. Demensprechend muss laut Bericht das Energiesystem grundlegend umgestaltet und bis 2030 die Kohleenergie um ca. 75% verringert werden.
Zum Vergleich: Halten alle Staaten ihre bisherigen Emissionsziele ein, wird sich die Erde bis 2100 um 3-4°C erwärmen. Ein Blick über den Atlantik reicht jedoch aus, um zu erkennen, dass sogar diese bescheidenen Ziele unter den gegebenen Umständen sehr wahrscheinlich nicht eingehalten werden. Neben dem Klimaleugner Trump wird vielleicht bald ein weiterer ultrarechter Präsident die Regierung in Brasilien übernehmen. Seine angekündigte Politik im Interesse des Finanzkapitals, der Grossgrundbesitzer und der Erdölindustrie lassen nichts Gutes erahnen. Natürlich bleiben auch andere Staaten, darunter die Schweiz, mit ihren Emissionszielen weit unter den eigentlich erforderlichen Treibhausgasreduktionen.
Vergleichsweise immer noch zurückhaltend
Trotz allem zielt dieser Bericht alles andere als auf Panikmache. Im Gegenteil: Entscheidende und politisch brisante Aspekte werden nicht erwähnt. Dazu gehört die durch das Klima verursachte Vertreibung von Millionen von Menschen. Ebenso hat der Weltklimarat die Tendenz, das Erreichen von möglichen Umschlagpunkten im Erdsystem auszublenden. Wie jedoch eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, kann schon eine Erwärmung unter 2°C nicht-lineare und unaufhaltbare Veränderungen herbeiführen. Treffen diese Voraussagen zu, wäre dann eine Stabilisierung des Klimas im Bereich von 2°C nicht mehr möglich. Der Chemiker Mario Molina meint dazu: „Auch wenn der Bericht die künftigen Folgen beschreibt, mildert er ein zentrales Risiko: Dass sich selbst verstärkende Rückkoppelungseffekte das Klimasystem ins Chaos stürzen könnten, bevor wir Zeit haben, unser Energiesystem und andere Verschmutzungsquellen zu bändigen.“
Noch etwas ist am Bericht besorgniserregend: Die Szenarien des Weltklimarats rechnen alle mit einer massiven Zunahme der Atomenergie (um 60 bis 100% bis 2030). Ausserdem basieren sie auf Kohlendioxidentfernung, also auf Technologien zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre. Wie der Bericht selbst anerkennt, haben solche Technologien grossen Einfluss auf die Land- und Wassernutzung und werden wahrscheinlich die Nahrungsmittelproduktion konkurrenzieren. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass insbesondere arme Menschen unter der Anwendung solcher Technologien leiden werden.
Zudem diskutiert der Bericht sehr ernsthaft sogenannte Solarstrahlung-Management-Projekte (auch bekannt unter dem Oberbegriff des Geoingeneerings), obwohl er solche Technologien aufgrund der Risken, die sie bergen, nicht in seine Szenarien integriert. Der Wissenschaftler Johan Rockström meint dazu: „Ich denke, der Bericht wird dazu führen, dass Solarstrahlung-Management-Projekte nun auf den höchsten politischen Ebenen diskutiert werden.“
Ökosozialismus oder Barbarei
Nach Jahrzehnten erfolgloser Klimapolitik wird immer deutlicher, dass die Eindämmung des Klimawandels im Widerspruch zur kapitalistischen Profitlogik steht. Die vom Weltklimarat geforderte Treibhausgasreduktion ist nicht umzusetzen, solange «das Gesetz des Marktes» herrscht und Grossunternehmen für einen Grossteil der Emissionen verantwortlich sind. Nur eine radikale Veränderung der Produktionsweise kann die drohende Klimakatastrophe abwenden.
Hierfür braucht es breit abgestützte soziale Bewegungen für einen Systemwandel. Wie die Ökologie-Kommission der Vierten Internationalen in einer am 8. Oktober 2018 veröffentlichten Erklärung schreibt: «Eine starke Mobilisierung von ökologischen, gewerkschaftlichen, bäuerlichen, feministischen und indigenen Bewegungen ist dringend nötig. Es reicht nicht mehr aus, sich zu empören und auf die Entscheidungsträger*innen Druck auszuüben. Wir müssen rebellieren, Allianzen zwischen verschiedenen Kämpfen herstellen, zu Millionen auf die Strassen gehen, fossile Investitionen, den Militarismus und die Aneignung von Land durch Reiche und Grosskonzerne verhindern, sich aktiv bei der Unterstützung von Bauern und Bäuerinnen einbringen, die konkreten Grundlagen für einen Ausbruch aus dem kapitalistischen Rahmen legen…
Ökosozialismus oder Barbarei: Das ist die Wahl, die sich uns immer deutlicher stellt. Unser Planet, unsere Leben haben mehr Wert als ihre Profite!»