Der Umstieg auf das Elektroauto löst unsere Umweltprobleme ganz und gar nicht. Die Vorstellung, wir könnten unseren Planeten künftig mit E-Autos zupflastern, ist abwegig. Die Produktion von privaten Pkw muss im Gegenteil drastisch reduziert werden. Doch wie soll das gehen, wo von der Autoindustrie Hunderttausende Arbeitsplätze abhängen? Lässt sich denn in den Autofabriken auch etwas anderes herstellen? Lars Henriksson, Arbeiter bei Volvo im schwedischen Göteborg, sagt, dass eine solche Konversion nicht nur möglich, sondern notwendig ist. Die Autoindustrie sei sogar wie keine andere dazu prädestiniert. Und das Knowhow der Beschäftigten spielt dabei eine zentrale Rolle. (Red.)
von Lars Henriksson*; aus Sozialistische Zeitung, Februar 2019
Wenn es eine echte Verkehrswende gäbe, also wenn der Verkehr von Auto auf Busse, Bahnen und Fahrräder verlagert würde, wie viele Autos würden dann überhaupt noch benötigt?
Ich kann da keine konkreten Zahlen nennen. Festzuhalten bleibt aber:
Der ganze Transportsektor müsste, wie so einige andere Sektoren auch,
vollkommen transformiert werden. Auf jeden Fall müsste er schrumpfen.
Die Menge der Güter, die durch die Gegend kutschiert wird, müsste
deutlich weniger werden. Die meisten Waren, die heute produziert werden,
werden hin und her transportiert, weil es vor allem um «billige»
Standorte geht. Es geht um niedrige Kosten und nicht um die Natur oder
ums Klima.
Die internationale Arbeitsteilung ist vollkommen
irrational. Die Produkte müssten viel näher an den Orten produziert
werden, wo sie letztendlich auch genutzt werden. Es ist auch absolut
unerlässlich, verschwenderischen Konsum einzudämmen und Transporte von
Gütern zu vermeiden. Ich will nicht sagen, dass man das Reisen
verbieten sollte. Aber eine auf Nachhaltigkeit bedachte Gesellschaft
würde Städte und Regionen so konzipieren, dass viele Verkehrswege
schlicht nicht mehr erforderlich wären.
Es sollte einsichtig sein,
dass der Transport von Menschen und Gütern möglichst effizient getätigt
werden muss. Der Transport von Personen sollte so weit wie nur möglich
zu Fuß oder per Fahrrad erfolgen. Geht es um größere Distanzen, so ist
der öffentliche Personenverkehr die erste Wahl. Das heißt, dass das
Auto nicht länger die Säule des Personentransports wäre. Die Rolle des
Autos wäre, eingebettet in integrierte Mobilitätskonzepte, die eines
Lückenbüßers, der nur zum Einsatz käme, wenn andere Optionen nicht
machbar sind. Für die Rolle, die den Autos im Transport von Personen
noch bliebe, brauchen wir deutlich weniger als die 74 Millionen, die
heutzutage jährlich verkauft werden.
Das hätte natürlich gewaltige
Auswirkungen auf die Autoindustrie. Bei dem Gewicht, das die
Autoindustrie in der Weltwirtschaft hat, würde das – selbst, wenn sich
sonst nichts ändern würde – die gesamte Wirtschaft in eine tiefe Krise
stürzen. Klar ist aber: Ein solche tiefgreifende Umwälzung des
Verkehrssektors in Richtung nachhaltiger Mobilität wird nicht über den
«Markt», d.h. im Rahmen des kapitalistischen Systems, zu machen sein.
Es bedarf einer sehr weitgehenden politischen Intervention. Es liegt
bei den politischen Kräften und Institutionen, die erforderliche
Umstrukturierung der Industrie durchzuführen.
Wenn es für die Beschäftigten in der Autoindustrie aber keine greifbare Perspektive gibt, wird es auch für diesen Umbau keine Mehrheit in der Bevölkerung geben, und wenn er aus Umweltgründen noch so notwendig ist. Was sollen die denn machen, wenn sie keine Autos mehr herstellen?
Die Autoindustrie ist keine Kohlengrube, wo man nur ein einziges
Produkt herstellen kann. Das ist ein hochdifferenziertes flexibles
System der Massenproduktion von Hightechprodukten. Es mag nicht einfach
sein, von der Produktion von Handys mal eben auf die Produktion von
Supertankern umzuswitchen. Aber so ziemlich alles dazwischen ist
möglich.
Es ist schon lange her, dass ein Auto lediglich ein Motor
mit vier Rädern war, die an einen Rahmen montiert waren. Heute bestehen
Autos aus komplexen Systemen, die ihrerseits das Resultat von
Spitzenforschung und hochdifferenzierten Produktionsabläufen sind. Eine
solche Produktion setzt Fachwissen nicht nur in den Bereichen Mechanik
und Metallurgie, sondern auch in so unterschiedlichen Feldern wie
Computerwissenschaften, Akustik, Aerodynamik und Verhaltensforschung
voraus.
Noch wichtiger als diese wissenschaftlichen Fertigkeiten ist
eine Eigenschaft, die die Autoindustrie besonders auszeichnet: die
Beherrschung einer effizienten Massenproduktion. Diese Branche hat
höchste Kenntnisse in Logistik, Fertigungstechnik, Design von
Fertigungsprozessen, Qualitätskontrolle und so weiter. Diese Fähigkeiten
kann man auch für die Herstellung ganz anderer Produkte nutzen. Im
übrigen ist eine effiziente Massenproduktion genau das, was wir
benötigen, wenn wir den Übergang von Produkten auf fossiler Grundlage
hin zu ökologisch nachhaltigen Produkten schaffen wollen.
Durch
Massenproduktion werden komplizierte technische Geräte billig. Solche
Verfahren können bei der Produktion von Windturbinen und anderen
Produkten im Bereich der erneuerbaren Energien genutzt werden – z.B. bei
der Produktion von Straßenbahnen, Zügen und anderen Produkten im
Bereich der nachhaltigen Mobilität.
Selbst auf der unteren Ebene, in
der Fabrik, wo ich arbeite, gibt es ein «stilles Wissen» über die
Kunst der Massenproduktion, ohne die viele der scheinbar normalen
Produktionsabläufe gar nicht oder nur sehr holprig funktionieren
würden. Für uns Beschäftigte in den Autofabriken sind
Umstrukturierungen und ständige Veränderungen wahrlich nichts
Ungewohntes. Im Gegenteil: Umstrukturierungen und Konversion sind ganz
selbstverständliche Bestandteile unseres betrieblichen Alltags. In den
letzten Jahrzehnten hat es sich in der Autoindustrie eingebürgert, dass
ständig neue Modelle eingeführt werden – manchmal in absurd kurzen
Abständen.
Aber eine Umwälzung wie die weg vom Auto hat es noch nie gegeben…
Diese Fähigkeit zur Konversion ist nichts, was ich mir in meinen
Träumen zusammenspinne, sie ist Teil unserer Geschichte. In den Wochen
nach dem Angriff auf Pearl Harbor (im Dezember 1941) verfügte die
US-Regierung von einem Tag auf den anderen, dass von nun an keine Autos
für den Privatgebrauch mehr gebaut werden durften. Die Autoindustrie
bekam die Anweisung, ab sofort nur noch Kriegsgerät zu produzieren.
Offenkundig
war die Umstellung der Produktion damals nicht sonderlich schwierig.
Ford und andere Autofirmen folgten den Anweisungen der Regierung (sie
verdienten dabei nicht schlecht!) und nutzten ihre Kenntnisse in der
Massenproduktion für den Bau von Panzern und Bombern. Die Autoindustrie
war damals in den USA die einzige Branche, die völlig auf
Kriegsproduktion umgestellt wurde. Es war die ihr eigene Flexibilität
und ihre Fähigkeit zur Massenproduktion, die das möglich machte.
Offenkundig war die Umstellung der Produktion im Zweiten Weltkrieg nicht sonderlich schwierig.
Der legendäre Produktionsingenieur von Ford, Charles Sorensen, fand dafür die Worte: «Einen Ford V-8 mit einem viermotorigen Liberator-Bomber zu vergleichen, ist so ähnlich, wie wenn man eine Garage mit einem Wolkenkratzer vergleicht. Aber jenseits der großen Unterschiede war mir bewusst, dass es auch grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen beiden gibt: Beide werden in sehr hoher Stückzahl produziert. Man könnte das gleiche über einen elektrischen Eieröffner und eine Armbanduhr sagen.»
Die Frage des Klimawandels ist keine technische, sondern eine politische Frage. Genauer gesagt, es ist eine Frage des Klassenkampfs.
Um es noch einmal zusammenzufassen: Die Autoindustrie zeichnet sich
durch eine vielseitig einsetzbare Organisationsstruktur aus, mit der man
viel mehr und anderes anstellen kann, als Autos zu bauen. Es wäre eine
unverzeihliche Verschwendung, wenn wir diese fantastische Maschinerie
nicht nutzen würden. Sie könnte eine wichtige Rolle beim Umbau unserer
Gesellschaften hin zu nachhaltigen, CO2-neutralen Gesellschaften spielen. Wie viele Menschen in diesem Bereich arbeiten würden, ist eine politische Frage.
Die
Frage des Klimawandels ist keine technische, sondern eine politische
Frage. Genauer gesagt, es ist eine Frage des Klassenkampfs. Und das ist
auch der Grund, weshalb ich die Frage der Konversion der Autoindustrie
aufwerfe. Eine solche Konversion findet nicht statt, weil man die
richtigen, überzeugenden Argumente vorbringt. Natürlich geht die
Konversion nur, weil wir die richtigen Argumente und die Vernunft auf
unserer Seite haben. Aber diese Vernunft muss Schlagkraft bekommen, sie
muss jene sozialen Muskeln bekommen, die nur von der
Durchsetzungsfähigkeit der organisierten Arbeiterklasse kommen können.
Und das ist der Moment, wo wir, die Beschäftigten der Autoindustrie,
gefordert sind.
Für seinen Arbeitsplatz zu kämpfen, ist sicher ein
gesunder Reflex – im Unterschied zu einer Haltung, bei der wir
resignieren und darauf hoffen, dass der Markt für uns die Probleme löst.
Solange wir noch in den Fabriken arbeiten, sind wir ein Kollektiv mit
einer potenziellen Macht. Wir können die Speerspitze einer Bewegung
sein, die die Sozialisierung der Autoindustrie fordert, und darauf
beharren, dass industrielle Produktion dem Allgemeinwohl dienen muss.
Welche betrieblichen Probleme können linke Betriebsaktivisten aufgreifen, um mehr Sensibilität und mehr Aufgeschlossenheit für die Notwendigkeit der Konversion bei den Kolleginnen und Kollegen in der Autoindustrie zu schaffen?
Der erste Schritte ist immer: Lernen, kollektiv zu kämpfen – auch für
«kleine Dinge». Von den großen Fragen sprechen und sich nicht für die
kleinen Fragen des Alltags zu engagieren – das geht gar nicht. Dann
sind wir für die Kollegen nur Schwätzer, die ständig Luftschlösser
bauen. Mein betrieblicher Alltag besteht (außer dem Bauen von Autos)
daraus, dass ich mich fast ausschließlich um die «kleinen» Probleme
kümmere, um Dinge, für die sich die normalen Beschäftigten (nicht nur
die mit dem «fortgeschrittenen Bewusstsein») selbst einsetzen. Würden
wir das nicht tun, würden wir uns von den Kollegen isolieren.
Fragen wie die Konversion sind natürlich für die Beschäftigten ganz weit
weg. Das sind Propagandathemen, mit denen man einen möglichen Ausweg
aufzeigen und die Gemeinsamkeiten zwischen Umweltaktiven und
Autobelegschaften herausarbeiten kann. Wenn Autobeschäftigte sich in
Massen für solche Fragen engagieren, macht es Sinn, dass sie sich damit
auseinandersetzen, welche anderen Tätigkeiten sie sich konkret für ihre
Abteilung bei ihrem Knowhow und ihrem technischen Equipment vorstellen
können. Genau das haben die Leute bei der britischen Firma Lucas
Aerospace in den 1970er Jahren getan. Das Ergebnis dieser Überlegungen
war der berühmte Lucas-Plan. Wichtig aber ist: Bevor es dazu kam, gab es
eine lange Zeit, in der die Kollegen in Alltagskonflikten ihr
kollektives Selbstbewusstsein und das Vertrauen in ihre eigenen
Fähigkeiten entwickelten.
*Lars Henriksson arbeitet seit den 1970er Jahren am Fließband bei Volvo in Göteborg und ist Mitglied von Socialistiska Partiet, der schwedischen Sektion der IV. Internationale. Er ist Autor des Buchs «Slutkört» (2011), in dem er für eine gewerkschaftliche Strategie zur Konversion der Autoindustrie eintritt, um Klima und Arbeitsplätze zu retten. Das Gespräch mit ihm führte Paul Michel.