Diskussionsbeitrag
Christian Zeller
9. März 2019
Am 10. März wird ein bescheidener Teil der in Salzburg lebenden Wahlberechtigten die Parteien für den Gemeinderat und eine Person für das Bürgermeisteramt wählen. Wieder einmal führen ausnahmslose alle Parteien ein langweiliges Schauspiel auf und geben vor, die Interessen der Bevölkerung, der kleinen Frau und des kleinen Mannes zu vertreten. Alle sprechen von leistbaren Mieten, die Parolen unterscheiden kaum. Das ist klassische Stellvertreterpolitik. Auch die Kleingruppe „Die LINKE“ und die KPÖPLUS machen dieses Spiel kritiklos mit. Die Frage, wie die Menschen und zwar auch jene, die über kein Wahlrecht verfügen, sich selbst ermächtigend in die Entscheidungsprozesse einbringen können, wird bei diesen Wahlen nicht gestellt. Auch die „DIE LINKE“ und die KPÖPLUS tun so, als ob sich auf städtischer Ebene die Politik wirklich verändern ließe. Den nationalen und internationalen Kontext blenden sie aus, genauso wie die grüne Bürgerliste, die von der wunderschönen Stadt Salzburg phantasiert, die sie noch schöner machen will.
Über ein Dutzend Personen aus unterschiedlichen kritischen Zusammenhängen haben im Frühjahr und Sommer 2018 versucht ein Wahlbündnis unter dem Motto solidarisch – ökologisch – gleichberechtigt aufzubauen. Die Idee war es, Menschen, die sich gegen Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit engagieren, mit Geflüchteten arbeiten, für eine autofreie Stadt einstehen und sich für die Interessen der Lohnabhängigen, auch jener ohne österreichischen oder EU-Pass, einsetzen in einen gemeinsamen politischen Zusammenhang jenseits der klassischen Parteilogik zu bringen. Nach einigen vielversprechenden Treffen zeigte sich, dass die KPÖ und die Gruppe „Die LINKE“ ihren parteiegoistischen Kurs einmal mehr ausleben. Das Bündnis kam nicht zustande. Das ist schade, weil die Chance bestanden hätte, einen Neuformierungsprozess kritischer, emanzipatorischer, feministischer, antirassistischer und ökosozialistischer Kräfte in Salzburg zumindest zu beginnen. Ein derartiges Bündnis hätte versuchen können, einen breiteren Diskussions- und Organisierungsprozess im Rahmen einer Widerstandspraxis gegen die rechte Bundesregierung, gegen die zunehmende rassistische Ausgrenzungspolitik und für konkrete lokale Verbesserungen zu initiieren. Das hätte aber auch bedeutet, zu enge Parteiverständnisse zu überwinden. Ob das gelungen wäre, wissen wir nicht. Das Problem ist, dass auch die linken Parteien so etwas gar nicht erst versucht haben.
Die Beharrungskräfte haben sich einmal mehr durchgesetzt. Bei Gemeinderatswahlen grundsätzliche Probleme aufzuwerfen, mag weit hergeholt scheinen. Das ist dennoch sinnvoll, weil sich letztlich auch im Kleinen und Lokalen die Fragen der politischen Orientierung und der Ziele stellen. Die KPÖ – auch unter dem Namen KPÖPLUS und mit tatkräftiger Unterstützung der Jungen Linken – sieht sich noch immer in der Tradition der sogenannten kommunistischen Weltbewegung. Diese Bewegung nannte sich kommunistisch, war vielmehr autoritär, bürokratisch und stalinistisch. Als Anfang 1990 die neu gewählten KPÖ-Vorsitzenden Silbermayer und Sohn einen Neubeginn eröffnen wollten und die Formierung einer offenen Linkspartei vorschlugen, entschloss sich jener Teil des Parteiapparats, der über die materiellen Ressourcen verfügte, dazu die Kontinuität zu wahren. Die beiden Vorsitzenden liefen ins Leere, traten anderthalb Jahre später zurück und verließen mit vielen anderen Mitgliedern die Partei.
Letzten 21. August jährte sich der Einmarsch der russischen Truppen (und vier weiterer Staaten des Warschauer Pakts) in der Tschechoslowakei zum 50. Mal. Die KPÖ verurteilte zunächst diesen Einmarsch, rechtfertigte ihn kurze Zeit danach aber dennoch. Ein Bruch mit der UdSSR kam nicht in Frage. Die KPÖ begrüßte die Niederschlagung der Aufstände 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn sowie Niederschlagung der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc durch die polnische Armee 1981. Anlässlich des 50. Jahrestags der Niederschlagung der Demokratiebewegung des Prager Frühlings verfasste der KPÖ Vorsitzende Mirko Messner einen kritischen Beitrag zur damaligen Linienfindung der Partei. Allerdings waren die damaligen Positionierungen der KPÖ nicht nur „Fehler“, sondern sie beruhten auf einem politischen Koordinatensystem, das im Gegensatz zu den Kämpfen für gesellschaftliche Emanzipation überhaupt stand. Während Jahrzehnten profitierten die Staats- und Parteibürokratien in den osteuropäischen Ländern, insbesondere in der ehemaligen DDR, zusammen mit der KPÖ von gemeinsam betriebenen Ost-West-Handelsunternehmen. Deshalb war die KPÖ jahrzehntelang eine der reichsten Parteien in Österreich. Noch bis 2003 beanspruchte die KPÖ Eigentumsrechte – allerdings erfolglos – an der Novum-Handelsgesellschaft.
Die KPÖ distanzierte sich im Laufe der 1990er Jahre von den stalinistischen Verbrechen. Formelhafte Distanzierungen von „der dem Sozialismus wesensfeindlichen Deformation in der Ära des Stalinismus“ bleiben allerdings oberflächlich. Eine grundsätzliche Kritik der Fundamente dieser bürokratischen Herrschaft blieb aus. Stalinismus war mehr als nur eine „Deformation“, ein grotesker Personalkult Stalins und Terror gegen angebliche und tatsächliche Oppositionelle. Stalinismus war ein reaktionäres System zur Sicherung der Herrschaft einer bürokratischen Klasse. Zum Machterhalt dienten die systematische Vernichtung von Menschen, der systematische Raubbau an der Natur, der Betrieb einer Kommandowirtschaft und einer dumpfer Industrialismus. Diese konterrevolutionäre Herrschaft zersetzte und zerstörte oppositionelle fortschrittliche und revolutionäre Bewegungen auf der ganzen Welt, ganz besonders in Spanien während des Bürgerkriegs. Viele Kommunistische Parteien, auch die KPÖ, waren ein Teil dieses Systems. Die KPÖ verteidigte bis Ende der 1980er Jahre die bürokratischen Diktaturen in der UdSSR und in den Ländern Osteuropas und bezeichnete deren Gesellschaften als sozialistisch. Erst nachdem und weil die „sozialistischen Bruderstaaten“ aufgrund ihrer eigenen Widersprüche zusammengebrochen waren, setzte in der KPÖ allmählich ein Umdenkprozess ein. Dieser kam mehr als sechs Jahrzehnte zu spät und blieb ungenügend. Zur Erinnerung: Stalin setzte sich 1927 zum Herrscher in der Sowjetunion durch, ließ in den Folgejahren nahezu die gesamte Führung der revolutionären Partei von 1917 ermorden, führte die Kommandowirtschaft ein und leitete ab 1928 auf Terror gestützt die Zwangskollektivierung ein, die zu mehreren Millionen Hungertoten, vor allem in der Ukraine, führte. Das alles war von Beginn an bekannt.
Die 2018 erschienenen Bücher und Broschüren zur Feier des 100jähigen Bestehens der KPÖ und der KP Steiermark distanzieren sich allesamt vom Stalinismus, lassen eine grundsätzliche Aufarbeitung der eigenen stalinistischen Parteipraxis zur Rechtfertigung und Stützung bürokratischer Herrschaft dennoch vermissen. Es geht um mehr als um den an den Parteikongressen zwischen 1991 und 1994 beschlossenen „Bruch mit dem Dogmatismus“, es geht um den kompletten Bruch mit einem autoritären und reaktionären Herrschaftssystem, dem sich fast alle kommunistischen Parteien während sechs Jahrzehnten bewusst und freiwillig untergeordnet haben. Es geht um eine Neuformierung emanzipatorischer Kräfte.
Das sind keine Fragen der Vergangenheit. Stalinistische Vorstellungen und Denkfiguren leben bis heute in Teilen der Linken fort, allerdings bisweilen sogar mehr außerhalb als innerhalb der KPÖ. Das zeigt die reflexhafte Solidarisierung etlicher Linker dem Assad-Regime in Syrien, mit dem diktatorischen Ortega-Murillo-Regime in Nicaragua und mit dem zunehmend autoritärer agierenden venezolanischen Präsidenten Maduro. Die KPÖ zieht es opportunistisch mittlerweile vor, zu diesen Auseinandersetzungen schlicht zu schweigen. Das trägt nicht dazu bei, die KPÖ beziehungsweise das Projekt KPÖPLUS glaubwürdiger als bisher zu machen. Gerade diese internationalen Entwicklungen zeigen auch in aller Deutlichkeit, dass sich eine Neuformierung antikapitalistischer Kräfte durch eine Beschränkung auf Lokalpolitik nicht erreichen lässt. Die anstehenden Herausforderungen sind transnational und global. Das unterstreicht nicht zuletzt der Klimawandel.
Umso fragwürdiger und tragischer wäre es, wenn die Junge Linke den Weg der KPÖ weiterführe. Die KPÖ kandidierte bereits bei der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 unter der Bezeichnung KPÖPLUS. Damals schien es, als ob die Verbindung mit den damaligen Jungen Grünen ein Öffnungsprozess einleiten würde. Das erwies sich abermals als Trugschluss. Das Wahlprojekt KPÖPLUS in Salzburg erscheint in erster Linie als ein Parteierhaltungsprojekt und nicht als ein Projekt zur Neuformierung kritischer antikapitalistischer Kräfte. Das wiederholt sich auch bei der Wahl zum Europaparlament Ende Mai. Ein wahrscheinlicher Wahlerfolg der KPÖPLUS wäre einerseits Ausdruck davon, dass eine wachsende Anzahl von Menschen nach einer Alternative sucht. Andererseits kann eine Stimme für die KPÖPLUS auch als eine Stimme zum Erhalt einer Tradition, die eigentlich längst hätte beendet werden müssen, verstanden werden. Das ist die Widersprüchlichkeit dieses Projekt. Die jungen Aktiven der Jungen Linken müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie sich bewusst in diese politische Tradition stellen beziehungsweise mit welchen Aspekten dieser Linie sie brechen und wirklich eine Neuformierung antikapitalistischer Kräfte anstreben.
Die Neuformierung einer konsequenten antikapitalistischen und ökosozialistischen Linken kann sich gegenwärtig nur in Bewegungen und Basisinitiativen in Betrieben, im Stadtteil, an den Schulen, an der Uni und auf der Straße bei gleichzeitiger beharrlicher politischer Bildungsarbeit vollziehen. Leider finden diese Kräfte gegenwärtig keinen Ausdruck in den politischen Institutionen. Arbeiten wir daran, dass das bald gelingen möge.