Der Webseite sozialismus.ch der Bewegung für den Sozialismus (BFS) entnehmen wir ein Interview mit einer jungen Schülerin in Basel, die sich aktiv an der Klimastreikbewegung beteiligt. Sie berichtet wie die Bewegung anfing und welche politischen und organisatorischen Herausforderungen die jungen Aktivist*innen zu bewältigen hatten. Eine zentrale Aufgabe besteht darin, die Klimabewegung gesellschaftlich zu verbreitern. In Österreich stehen wir ebenfalls vor der Frage, wie wir die Bewegung ausweiten, Bündnisse eingehen und ihr politisches Profil schärfen können. Die Schülerin vermittelt uns Impulse für unsere Aktivitäten in der Klimabewegung. (Red.)

Wir sprachen mit Billie über die Entstehung der Schüler*innenbewegung, wie man sich kollektiv organisiert, über die Perspektive der Bewegung und die Aktionen gegen die Klimakrise und darüber, weshalb der Streik nicht nur in diesem Anliegen ein wichtiges Mittel im Kampf ist. Sie ist Schülerin an einem Basler Gymnasium.

Billie ist in der Klimastreikbewegung aktiv und Mitglied der Bewegung für den Sozialismus (BFS) in Basel; die Fragen stellte David Balourd (BFS Basel)

David: Die Klimabewegung nahm Ende 2018 an Fahrt auf. Erzähle doch mal, wie das Ganze angefangen hat. Wie habt ihr die ersten Aktionen organisiert?

Billie: Ich selbst war nicht ganz von Anfang an dabei. Diese Schulstreiks haben ja mit Greta Thunberg angefangen und führten dann zu Nachahmungen auf der ganzen Welt. So auch in der Schweiz. In Basel war es so, dass ein paar Schüler*innen einfach mal eine Whatsapp-Gruppe gemacht und da mal alle möglichen Leute reingeworfen haben. Es hiess dann: Wir machen einen Schulstreik! – und das nur drei Tage vor dem geplanten Datum! Innerhalb von drei Tagen haben wir dann 1500 Leute mobilisiert. Es war zwar noch alles ein bisschen improvisiert, wir hatten keine Boxen und so wurden Reden mit einem Megafon gehalten, was man natürlich kaum verstanden hat. Doch dass innerhalb von drei Tagen so viele Menschen mobilisiert werden konnten, war schon beeindruckend.

D: Wieso ist es gerade das Thema Klimawandel, das in so kurzer Zeit so viele Jugendliche auf die Strasse bringt?

B: Ich denke jede*r ist sich des Problems bewusst, das ist bei den Menschen im Kopf. Wenn es dann eine Mobilisierung gibt, ist das für viele ein Push: Hey es läuft etwas, ich kann mich anschliessen. Mensch hat zwar vorher schon an dieses Problem gedacht, doch viele haben den Schritt nie gewagt, etwas Konkretes zu tun. Die Mobilisierung bot dann die Möglichkeit dazu.

D: Wie hat sich die Organisierung dann bei den weiteren Aktionen verändert?

B: Nach dem ersten Streik wurde natürlich das OK [Organisationskomittee] viel grösser. Viele, auch ich, wurden durch die Aktion motiviert und haben gesagt: Hey, ich möchte da mithelfen, das ist eine tolle Sache. Wir konnten das Ganze dann besser strukturieren und es haben sich Arbeitsgruppen gebildet. Beispielsweise entstand eine AG Mobilisierung, in der dann eine gezieltere Mobilisierung geplant wurde. Auch diese Whatsapp-Gruppen wurden immer grösser, eine zweite und dritte entstand. Irgendwann schlossen sich auch die Studierenden der Bewegung an und organisierten eigene Treffen, an denen über 100 Personen teilgenommen haben. Das ist so in etwa die Entwicklung.

D: Was ist deine persönliche Motivation, neben der Schule so aktiv zu sein? Was ist dein Ziel?

B: Ich war ja schon vor den Klimastreiks politisch engagiert. Auch privat sind mir die Themen Ökologie und Umweltbewusstsein wichtig. Es macht mich glücklich zu sehen, was sich hier alles bewegt, wie das Ganze entsteht. Ich sehe darin viel Potential und wollte unbedingt ein Teil davon sein. Es macht mir unglaublich viel Spass. Klar, es ist auch stressig. Aber ein Teil von dem Ganzen zu sein, finde ich für mich mega wichtig. Was ich darin erreichen will? Ich weiss nicht, ob wir es mit dieser Bewegung schaffen können, die Klimakrise noch zu stoppen, weil wir einfach extrem spät dran sind. Das müsste den Menschen noch viel bewusster sein. Ich hoffe auf jeden Fall, dass wir mit dieser Bewegung ein grösseres Bewusstsein bei den Menschen erzielen sowie auch in der Wirtschaft und der Politik ein Umdenken erreichen können.

D:  Neben der Organisierung in den OKs findet ja auch eine schweizweite Vernetzung statt. Wie funktioniert das und gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Städten?

B: Das Ganze ist aus meiner Perspektive nicht komplett transparent. Das ist nicht so gewollt, aber mit der Koordination hapert es noch ein bisschen. Generell gibt es regelmässig schweizweite Treffen, die allen offenstehen. Ich selber konzentriere mich jedoch auf die regionalen Aktivitäten, das ergibt für mich mehr Sinn. Ansonsten gibt es auch auf nationaler Ebene Arbeitsgruppen, die sich um Finanzen, Organisation und dergleichen kümmern. Meiner Ansicht nach sollte auf nationaler Ebene in erster Linie ein Austausch stattfinden, das heisst beispielsweise das Festlegen eines gemeinsamen Plakates für alle Regionen. Unterschiede zwischen den Regionen gibt es schon. Ich denke die Basler Bewegung unterscheidet sich von anderen durch ihre Unabhängigkeit. Wir hatten auch lange Diskussionen darüber auf nationaler Ebene. In manchen Bereichen sind wir vielleicht etwas weiter, wenn es z.B. um Aktionen ausserhalb der Streiks geht oder um die Finanzierung. Auch in der Struktur des OKs sind wir gut organisiert. Wir haben eine basisdemokratische Struktur mit autonom funktionierenden Arbeitsgruppen. Wir sind so als Regionalgruppe nicht vom nationalen OK abhängig.

D: Eine eurer Forderungen ist ja die CO2-Neutralität bis 2030. Führt ihr auch Diskussionen darüber, auf welchem Weg dieses Ziel zu erreichen ist?

B: Eigentlich weniger – die Lösungen sind schon lange bekannt. Seit über 20 Jahren wäre es theoretisch möglich, komplett auf erneuerbare Energien umzusteigen. Abgesehen davon sind wir grösstenteils Schüler*innen. Wir haben nicht das Wissen, um konkrete Lösungsansätze zu bieten. Ich finde aber, das ist auch nicht unsere Aufgabe. Dafür haben wir Wissenschaftler*innen. Das Problem sind nicht die fehlenden Lösungen, das Problem ist, dass man die vorhandenen Lösungen nicht umsetzen will.

D: Wenn die Wissenschaft die Antworten liefern muss, was ist denn die Rolle der Bewegung?

B: Ich denke die Rolle der Bewegung ist es, den Druck aufzubauen. Wir müssen darauf aufmerksam machen, dass diese Lösungen auch wirklich durchgesetzt werden müssen, selbst wenn es Verzicht bedeutet. Wir können uns diese Lösungen durchaus «leisten». Die Frage ist, ob man will oder nicht.

D: Eine Parole, die man oft hört an euren Demonstrationen, lautet ja «System change, not climate change». Was bedeutet diese Parole für dich?

B: Für mich bedeutet das: Wenn wir dieses System, das komplett auf Wirtschaft und Gewinn orientiert ist, beibehalten, können wir unsere Forderungen nicht verwirklichen. Es braucht Veränderung, auch wenn das vielleicht für die Wirtschaft nicht ideal ist, wenn wir die Bekämpfung der Klimaerwärmung vor die Interessen des Kapitals setzen. Das muss aber nicht heissen, dass wir eine Revolution fordern, sondern einfach, dass für uns dieses Anliegen wichtiger ist als das Wirtschaftswachstum.

D: Sprechen wir doch noch über die Medien. Eure Schulstreiks wurden ja teilweise in Zeitungen so behandelt, als ginge es euch ums Schwänzen. Gleichzeitig finden viele gute Worte für die Bewegung. Was hältst du von der medialen Berichterstattung?

B: Ich bin da zwiegespalten. Mit diesem Schwänzen-Vorwurf waren wir viel konfrontiert. Das finde ich schade. Da wird der Fokus nicht mehr auf unsere Forderungen gelegt und darauf, weshalb wir überhaupt auf der Strasse sind. Abgesehen davon ist das kein wirklicher Punkt, wir kompensieren ja die Zeit, die wir fehlen. Ich kenne zudem viele Schüler*innen, die gerne kommen würden, sich aber keine weiteren Absenzen leisten können. Ich finde diesen Fokus also falsch.

Gleichzeitig freue ich mich über die vielen positiven Berichte, die uns unterstützen und uns auch ein Stück weit eine Bühne bieten. Natürlich gibt es auch Zeitungen wie die Basler Zeitung, die sich dann über einen Benzingenerator an der Demo auslässt oder darüber, dass sich Jugendliche über neue Smartphones organisieren. Ich halte das für irrelevante Punkte. Es wirkt auf mich so, als müssten da die Alten Angriffspunkte finden, um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen.

Am 24. Mai finden weltweit Klimastreiks statt

D: Würdest du in Bezug auf die Absenzen sagen, die Schule hat auch einen hindernden Charakter für die Bewegung? Öffentlich wird das ja eher gegenteilig wahrgenommen, dass die Schulen die Proteste gut finden.

B: In Basel haben wir das Glück, dass wir einen Kompromiss mit dem Erziehungsdepartement aushandeln konnten. Wenn wir wegen des Streiks fehlen, können wir das kompensieren – sei es durch Arbeit auf einem Schulgarten oder durch einen Vortrag. In anderen Kantonen oder auf anderen Schulstufen als dem Gymnasium sieht das leider anders aus. Oft wird gesagt: Wir unterstützen euer Anliegen, aber wir können das nicht entschuldigen. Gleichzeitig finden dann oft bilaterale Absprachen mit Lehrer*innen statt, die dann keine Absenzen geben.

D: Du bist auch feministisch aktiv. Mit dem Frauen*streik am 14. Juni und den Schulstreiks gibt es momentan zwei Bewegungen, die zum Streik aufrufen. Was bedeutet «Streik» für dich, weshalb kämpft ihr unter diesem Slogan?

B: Ich denke, es gibt einen grossen Unterschied zwischen den Klimastreiks und dem Frauen*streik. Nämlich: Wenn man in der Schule streikt, hat man nicht direkt einen Einfluss auf die Unterdrückung durch das Kapital, beim Frauen*streik sieht das anders aus, insbesondere wenn Arbeitsniederlegungen stattfinden. Klar: Der Schulstreik hat auch eine symbolische Wirkung. Bei einem Frauen*streik ist die Wirkung allerdings direkter. Deshalb sind wir auch daran, weitere Aktionen zu planen, welche mehr in Richtung «direct-action» gehen und so auch mehr Wirkungen hervorrufen können.

D: Ihr habt ja bereits viele Aktionen organisiert. Ein Höhepunkt war wohl die dreitägige Besetzung der Kasernenwiese in Basel Mitte März. Magst du ein wenig berichten, wie das gelaufen ist?

B: Das Ziel war es vor allem auch ein Vernetzungstreffpunkt zu sein für die ganze Schweiz. Wir haben aber auch schweiweit  Gäste eingeladen, nach der internationalen Demo am 15. März dahin zu kommen. Zudem wollten wir zeigen, dass wir zu mehr fähig sind, als einmal monatlich zu streiken – und dass da auch mehr kommen wird! Es ging auch nicht nur um Konzerte und gemeinsames Essen: Wir hatten Workshops zu verschiedenen Themen der Umweltpolitik, damit wir auch die Menschen, die primär wegen den Konzerten gekommen sind, für dieses Thema sensibilisieren konnten.

D: Wie geht es jetzt konkret weiter mit Aktionen?

B: Es wird sicher weiterhin die Streiks geben. Für weitere Aktionen sind schon Ideen im Raum, teilweise auch schon konkreter. Da kann ich jetzt aber noch nicht mehr verraten.

D: Wenn du zurückblickst auf die Mobilisierungen und Aktionen der letzten Monate, was würdest du sagen, was hat die Schüler*innenbewegung bis jetzt erreicht?

B: Ich denke direkt haben wir noch nicht genug erreicht. In Basel wurde der Klimanotstand ausgerufen, was zwar ein grosser Schritt ist, im Endeffekt allerdings reine Symbolpolitik. Der grosse Rat muss sich an überhaupt nichts davon halten, was in dieser Resolution steht. Dennoch denke ich, dass unsere Präsenz und wie über uns gesprochen wird eine extrem wichtige sensibilisierende Wirkung hat. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir, wenn das so weitergeht, auch aktiv etwas ändern können.

D: Was braucht es denn, dass es so weitergeht? Oder: was ist die Perspektive der Bewegung?

B: Wir müssen sicher zeigen, dass wir mehr können, als einmal im Monat durch die Stadt zu spazieren. Wenn da nichts passiert, können wir keinen grossen Druck aufbauen, dann denken die Verantwortlichen: Komm wir reagieren und tun so, als ob wir ein bisschen was ändern, dann wirken wir sympathisch. Es ist wichtig, dass wir zum einen die weltweite Bewegung des Earthstrike unterstützen. Denn da werden wirklich die Arbeiter*innen streiken. Zum anderen braucht es direkte Aktionen, mit denen wir zeigen: Wir können auch anders!

D: In diesem Fall sprichst du dich für eine Ausweitung der Jugendbewegung aus, wenn du von diesem Earthstrike sprichst?

B: Das sicher ja. Wir sind da dran. Es gibt ja neben den Schulstreiks auch die «Klimabewegung» in Basel, die sich zu formieren beginnt. Da sind mehrere hundert Erwachsene dabei. Wenn wir mit diesen zusammenarbeiten können, kann die Bewegung wachsen.

D: Was wünschst du dir für die Klimabewegung in der Schweiz und darüber hinaus?

B: Ich hoffe, dass sich die Klimabewegung so öffnen kann, dass alle Menschen Aktionen machen können. Dass sich alle anfangen zu engagieren, dass sich viele Gruppen bilden, die gemeinsame Aktionen planen und durchführen. Wir brauchen mehr als einen monatlichen Streik in den Städten: Wir brauchen regelmässige Aktionen. Alle können aktiv werden.

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