Von Angela Klein | 11. August 2019
Angela Klein, Redaktorin der Sozialistischen Zeitung, beobachtete den ersten Kongress von Friday for Future Deutschland, der vom 31. Juli bis 4. August in Dortmund stattfand. In diesem Bericht, zuerst auf der Webseite der Internationalen Sozialistischen Organisation erschienen, schildert sie ihre Eindrücke.
Er machte einen sehr wohlbehüteten Eindruck, dieser erste Kongress von Fridays for Future.[1] 1600 ausschließlich junge Leute hatten sich Anfang August im Revierpark in Dortmund getroffen, um ihre Kenntnisse zu vertiefen, Handlungsstrategien zu entwerfen und sich besser zu vernetzen. Die wenigen Alten, die zu sehen waren, waren entweder Presseleute oder Referierende oder Orgahelfende.
Mit großer Akribie wurde kontrolliert, wer sich auf dem Kongress tummelt: Anmeldungen waren nur für die Altersgruppen zwischen 14 und 28 Jahren zugelassen; bei der Anmeldung mussten die jungen Leute ihren Personalausweis vorzeigen; jeder und jede bekam ein Bändchen um das Handgelenk – mit verschiedenen Farben je nach Alter und Funktion, manche trugen auch zwei, drei Bändchen; vor dem Eingang zu den Panels wurde kontrolliert; die Presse hatte in den Workshops und auf den Vernetzungstreffen nachzufragen, ob sie der Diskussion beiwohnen darf (was umstandslos bewilligt wurde). Die Jüngeren, oder die kein Zelt dabei hatten, waren in einer Turnhalle untergebracht; überall gab es Helfergruppen und die Organisation funktionierte prima. Eine großartige Leistung!
Übrigens: Von wegen die Jugend von heute ist nur noch digital unterwegs und digital ist effizienter als analog. Zur Vorbereitung des Kongresses hatte die Stadt Dortmund den Organisatorinnen eine Wohnung mit zehn Zimmern zur Verfügung gestellt. Dort haben sie eine Woche lang zusammengesessen und den Kongress vorbereitet.
Das inhaltliche Programm war ebenfalls eng geführt, im großen und ganzen entsprach es dem kritischen rot-grünen Mainstream der großen Umwelt-NGOs. Es gab, auf zwei halbe und einen ganzen Tag verteilt, sechs Plenarveranstaltungen (Panels) und ca. 110 Workshops, viele davon wurden als Doppeleinheiten angeboten – ein Mix aus Sachinformation, der Erschließung neuer Handlungsmöglichkeiten und der Verbesserung der eigenen Kommunikationsfähigkeiten.
Die Sachinformationen waren manchmal regelrechte Schulstunden, etwa über die Chemie der Atmosphäre, internationale Klimapolitik einschließlich der Simulation von UN-Klimaverhandlungen, den Umgang mit Messdaten – die Referenten nicht immer große Namen, aber kompetent und auf umfassende Ertüchtigung in der Auseinandersetzung um die Klimapolitik ausgerichtet. Diesbezüglich erinnerte der Kongress an die frühen Zeiten der Anti-AKW-Bewegung, die ebenfalls eine Alphabetisierung der Bürgerinitiativen in Sachen Atomtechnologie betrieben hatten.
Die überwiegende Zahl der Workshops beschäftigte sich jedoch mit Fragen wie: Wie kann ich mein Umfeld beeinflussen? Wie lerne ich besser zu argumentieren und zu überzeugen? Was kann ich in der Schule/ Hochschule, aber auch in der Kommune tun, um Schritte in Richtung Klimaneutralität zu gehen? Da gab es neben dem Workshop über „Energiewende selber machen“ eben auch den „Wie bearbeite ich Politiker?“, „Wie kann man der Kohleindustrie den Geldhahn zudrehen?“ bis hin zur Kampagne gegen Firmenwagen.
Die Vermittlung von Fertigkeiten war groß geschrieben. Ein Workshop hieß: „Wie du eine außergewöhnliche Rede hältst“, ein anderer: „Jeder kann alles sein“, es gab „Skills for Organizing“, „Argumente gegen Klimawandelleugner“ usf.
Who is who?
Das Niveau der Diskussion war beeindruckend, den jungen Leute mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Da hat der Bewegungsforscher Dieter Rucht ganz recht, bei F4F sind die gut Gebildeten überrepräsentiert, die Mehrheit kommt seinen Forschungen zufolge aus einem akademischen Elternhaus und hat Abitur oder strebt es an. Die meisten Aktivist*innen sind zwischen 14 und 19 Jahre alt – über die Jüngeren gibt es keine statistischen Erhebungen. Mehr als die Hälfte ist weiblich – damit ist F4F die erste Bewegung, die mehrheitlich von Frauen getragen wird; auch die Gesichter, die sie in der Öffentlichkeit repräsentieren, sind überwiegend weiblich. Politisch verorten sie sich eher links, identifizieren sich aber mit keiner politischen Partei. Nach ihren Präferenzen befragt, neigen 36 Prozent zu den Grünen, 12 Prozent zur LINKEN; gerade einmal 1,5 Prozent zur CDU und 3,2 Prozent zur SPD.
Der Forderungskatalog, den sie mit Wissenschaftler*innen zusammen erarbeitet haben, ist denkbar einfach, er lässt sich in drei Hauptforderungen zusammenfassen.
Die Kernaussage ist: Die Politiker*innen sind inkompetent, sie haben nichts begriffen und gegen den Klimawandel bislang nichts unternommen. Da es um ihre Zukunft geht, müssen die jungen Leute diese nun selbst in die Hand nehmen. Und das heißt: demonstrieren, mit kreativen Aktionen Aufmerksamkeit erringen, in den Medien präsent sein, Politiker*innen in die Mangel nehmen, Bündnisse schließen, vorsichtig zivilen Ungehorsam üben. Nach ihrer Demo in der Dortmunder Innenstadt am Freitagvormittag zogen diverse „Tentakel“ vor große Kaufhäuser; bei Saturn stürmte ein Trupp in umgekehrter Fahrtrichtung die Rolltreppe hoch – und bekam prompt Hausverbot.
Vielversprechend
Das Themenspektrum der angebotenen politischen Workshops auf dem Kongress war nicht sehr viel anders als auf den Klimacamps auch, nur weniger radikal und noch stärker auf unmittelbare praktische Umsetzung gerichtet. Es ist angekommen, dass Klimawandel und das Aufhalten desselben etwas mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun hat; dass es nicht reicht, die Antriebsart zu ändern, sondern ein gesellschaftlicher Umbau dafür nötig ist. Klimagerechtigkeit ist ein Thema, nicht nur in Bezug auf die Länder des Südens, ebenso Kritik am Auto, Ernährung, Konsumverhalten, Energiewende. Es gab sogar einen Workshop zu Rojava. Es wurden das Verhältnis von Klimawandel zu unserer Wirtschaftsweise und Pfade der Transformation untersucht. Kapitalismuskritik kommt vor, die Arbeiterbewegung nicht.
Sicher kann man bemängeln, dass vieles nicht weit genug geht, so etwa wird das E-Auto noch kaum in Frage gestellt, auch die CO2-Steuer nicht. Die Fridays kommen primär vom Gedanken der Rettung der Umwelt her, die Kritik an der Gesellschaft leitet sich davon ab. In dem Punkt aber legen sie sich mit den Mächtigen an.
Aufschlussreich dafür war der Panel über die CO2-Steuer. Dazu waren der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen eingeladen, die jährlich ein Sachverständigengutachten über die wirtschaftliche Lage abgeben, ein Vertreter von Ver.di und eine Frau, die in der internationalen Klimabewegung aktiv ist. Der Oberweise wollte die Fridays vereinnahmen, dozierte über die Notwendigkeit, Gemeingüter zu bepreisen, damit sie weniger genutzt würden – ob über Emissionshandel oder über eine CO2-Steuer, darüber wollte er an der Stelle nicht streiten. Die Vertreterin der Fridays, Carla Reemtsma, 22 Jahre alt, hatte dem nichts entgegenzusetzen, wie auch – tutete der Vertreter von Ver.di doch genau in dasselbe Horn. So schien es gar keine Kontroverse zu geben, da meldete sich die Referentin zu den internationalen Aspekten des Klimaschutzes zu Wort und mahnte an, das dürfe keine nationale Aufgabe bleiben. Der Oberweise ergriff die Gelegenheit sogleich beim Schopf und verkehrte die Aussage nun dahingehend, wenn die anderen Länder nicht mitziehen würden, machten Alleingänge gar keinen Sinn, nur auf dem Weg internationaler Vereinbarungen seien Fortschritte möglich.
Das aber brachte die Vertreterin der Fridays auf die Palme: Wenn Deutschland nicht einmal die Ziele verwirkliche, die es selber unterschrieben habe, könne es sich nicht anmaßen, von anderen Ländern genau dies zu verlangen. Tosender Beifall. Dann kartete noch jemand aus dem Publikum nach und wies daraufhin, dass der Oberweise zugleich für das Institut für neue soziale Marktwirtschaft aktiv sei, das gar nicht das 1,5°, sondern das 2°-Ziel propagiere. Und schon war er unten durch.
Das sind wunderbare Lernprozesse, von denen wird es noch viele geben.
Weil dieser Protest aus der Mitte der Gesellschaft kommt – und weil er so viel Wasser auf die Mühlen der Grünen spült –, macht er allen Parteien Beine (außer der AfD), sie müssen was tun oder wenigstens so tun als ob. Da sie aber bestenfalls Palliativmaßnahmen hinbekommen werden, die Bewegung aber von der Unbedingtheit – und gesellschaftlichen Sprengkraft – ihrer Forderungen lebt („Naturgesetze kennen keine Kompromisse“), ist deren Radikalisierung so sicher wie das Amen in der Kirche.
Angela Klein
[1] Der Sommerkongress von „Fridays for Future“ hat vom 31. Juli bis 4. August in Dortmund stattgefunden. Ein Bericht: https://fridaysforfuture.de/neuigkeiten/ Zahlreiche Informationen über das Programm usf.: https://kongress.fridaysforfuture.de/.