Am 20. September 2019 sind ein weiteres Mal weltweit Millionen Menschen für das Klima auf die Strasse gegangen, haben gestreikt und Plätze besetzt. In Deutschland war der Streiktag riesig. Wenige Tage danach hat die deutsche Bundesregierung ihren Plan gegen die Klimakatastrophe präsentiert. Es handelt sich dabei um den lächerlichen Versuch, mit minimalsten Massnahmen eine riesige Bewegung beruhigen zu wollen. Das wird nicht klappen. Zwei Aktivist*innen von Fridays for Future München haben erzählt, was sie davon halten und wie es jetzt weitergehen muss. (Red.)
Ein Gespräch mit zwei Aktivist*innen von Fridays for Future München; aus Sozialistische Zeitung, November 2019
Auf den gewaltigen Streikerfolg am 20.9. folgte die kalte Dusche: Die Bundesregierung hat mit ihrem Klimapäckchen der jungen Generation die kalte Schulter gezeigt. Wie wirkt das auf sie? Und wie wollen sie jetzt weitermachen? Darüber sprach die SoZ mit zwei Aktiven von Fridays for Future in München: Lydia und Leonhard.
Lydia ist gerade 18 Jahre alt geworden und geht noch zur Schule. Sie ist von Anfang an bei Fridays for Future dabei und interessiert sich schon lange für Klimagerechtigkeit und Klimaschutz.
Leonhard ist 22 Jahre alt und studiert Elektrotechnik im Masterstudiengang mit Schwerpunkt Erneuerbare Energien. Er ist ebenfalls seit Dezember dabei und außerdem bei Greenpeace ehrenamtlich aktiv.
Die Ortsgruppe München von FFF hat zusammen mit Scientists for Future die allgemeinen Forderungen der Bewegung für München konkretisiert:
- Betrieb des Heizkraftwerks Nord 2 bis 2022 beenden und den Betrieb bis dahin auf ein Minimum reduzieren;
- Autofreie Zone innerhalb des Mittleren Rings bis spätestens 2025;
- Ausstattung aller Neubauten mit Photovoltaik- oder Solarthermieanlagen.
Die allgemeinen Forderungen von F4F lauten:
- Nettonull bis 2035; Kohleausstieg bis 2030; 100 Prozent erneuerbare Energie bis 2035; Ende 2019 Ende der Subventionen für fossile Energieträger; bis dahin ein Viertel der Kohlekraftwerke abschalten; eine CO2-Steuer auf alle Treibhausgasemissionen (180 Euro pro Tonne CO2).
Am Tag eures globalen Klimastreiks, dem 20.9., hat die Regierung ihr Klimapaket herausgebracht. Wie beurteilt ihr das?
Lydia: Für mich war das ein Schlag ins Gesicht, nach dem Streik waren auch viele von uns erst mal ziemlich niedergeschlagen, obwohl der Streik eigentlich ein totaler Erfolg war. Zuerst waren wir alle super gut gelaunt und ausgelassen, und dann hören wir plötzlich von diesem Klimapaketchen, das ja wirklich ein Witz ist. Das fühlt sich so an, als würden die sich über uns lustig machen. Nach dem Motto: Ihr wollt eine Zukunft, dann zahlt mal 10 Euro pro Tonne CO2 – das ist weniger, als eine Maß auf der Wiesn kostet. Ich fand es wirklich krass, vor allem weil die Klimagerechtigkeitsbewegung keine Minderheit mehr ist, es waren 1,4 Millionen Menschen auf der Straße, und es gibt viele mehr, die noch zu Hause sitzen und sich nicht auf die Straße trauen. Ich bin echt wütend, das geht gar nicht.
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Woran glaubt ihr liegt das?
Lydia: Naja, es sind auf jeden Fall die Konzerne im Hintergrund und beeinflussen die Politik. Auf der anderen Seite dient dieses Paket aber auch dazu, ähnlich wie beim Hambacher Forst zu zeigen: Ihr wollt etwas von uns, wir geben euch etwas, was uns überhaupt nicht weh tut und auch kaum Auswirkung haben wird, weil es nichts ist außer ein paar leeren Worte auf Papier, damit ihr euch nicht mehr beschweren könnt, dass wir nichts tun.
Leonhard: Ich glaube, die Industrie hat zu viel Einfluss auf das Klimapaketchen, und ich finde, man sieht auch ganz klar, dass hier nicht im Sinne der kommenden Generationen gehandelt wurde, sondern dass andere Interessen wie Arbeitsplätze, Geld und irgendwelche Verbandelungen mit der Industrie wichtiger waren; vielleicht hatte auch die Kampagne des mächtigen Wirtschaftslobbyvereins INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) Einfluss darauf.
Wie soll es weitergehen mit eurer Bewegung? Können die Streiks jeden Freitag genug Druck auf die Politik ausüben?
Leonhard: Es gibt eigentlich zwei Wege, die wir gehen können, beide sind mit großen Demonstrationen verbunden und weniger mit stetigen Streiks. Am besten wäre es, glaube ich, wenn wir freitags politische Streiks auf die Straße bekämen, die auch wirtschaftlichen Druck aufbauen. Die andere Option wären riesengroße Demonstrationen am Wochenende, was aber dann natürlich nicht mehr Fridays for Future genannt werden kann.
Lydia: Also ich denke, wir sollten mit dem Streiken
nicht aufhören. Ich fände es aber auch wichtig, sich mit anderen
Klimagerechtigkeitsbewegungen stärker zu solidarisieren, also auch
Bewegungen, die mehr zivilen Ungehorsam machen. Wir sollten alle an
einem Strang ziehen. Wir sind Fridays for Future, wir sollten sagen: Wir
gehen keine Eskalationsstufe weiter, wir machen die Streiks jeden
Freitag als etwas Kontinuierliches, was auch präsenter ist als zum
Beispiel eine Kohleblockade. Aber die verschiedenen Gruppen sollten
stärker zusammenarbeiten, weil ziviler Ungehorsam auch wichtig ist.
Das
Schöne an Fridays for Future ist, dass hier Leute aufeinanderzugehen,
da sind die Politiker eher gezwungen, sich mit uns auseinanderzusetzen,
weil die Gesellschaft in uns weniger eine Gefahr sieht als z.B. bei Ende
Gelände, weil die Sachen machen, die vielleicht verboten sind. Mit uns
kann man sich am Anfang leichter identifizieren.
Wie steht ihr zu anderen Protestformen? Könnt ihr euch vorstellen, dass solche auch für eure Bewegung sinnvoll wären?
Leonhard: Es gibt einige andere Gruppen, mit denen wir uns solidarisch erklären, zum Beispiel Ende Gelände, es gibt da auch personell große Überschneidungen, Leute sind jetzt sowohl bei Ende Gelände als auch bei Fridays for Future aktiv. Es ist gut, diese Vielfalt von Angeboten für Aktive zu haben, auch mit verschiedenen Aktionsleveln und Aktionsformen. Generell befürworten wir jede Aktion, die für den Klimaschutz hilfreich und gewaltfrei ist.
Glaubt ihr, es wäre hilfreich, den Ton eurer Forderungen zu verschärfen, um sie weniger kompromissbereit klingen zu lassen?
Lydia: Also, ich finde, unsere Forderungen sind ziemlich gut verfasst, gerade weil sie nicht so aggressiv sind. Ich sehe sie auch nicht als kompromissfähig, denn das, was wir sagen, muss auch wirklich gemacht werden. Wenn wir es härter formulieren, gibt es nur sofort eine Gegenhaltung, ein Abblocken. So aber schauen die Leute näher hin und sehen, das ist alles begründet und gut so und auch gar nicht so schwierig. Ich finde unsere Forderungen wirklich gut verfasst.
Leonhard: Ich denke nicht, dass ein harscherer Ton die Politiker bewegen würde umzudenken. Wir hätten alles Recht, mit mehr Wut auf die Politiker zuzugehen, ich glaube aber nicht, dass der Sache damit geholfen wäre, dann kommen die Scheuklappen und es passiert gar nichts.
Was heißt System Change für euch? Wie steht ihr zum Thema Antikapitalismus?
Leonhard: Inhaltlich haben wir sehr viele verschiedene Meinungen zu dem Thema. Wir sehen alle, dass Kapitalismus in der heutigen Form die Klimakrise verursacht hat, und wir sehen die riesigen strukturellen Probleme, die Kapitalismus an sich mit sich bringt. Wir sind uns nicht einig, ob man Kapitalismus überwinden kann, ob das nicht zu viel Zeit braucht, oder ob man auch im jetzigen System Lösungen für die Klimakrise finden kann.
Lydia: Beziehungsweise wie man das System so ändern kann, dass es funktioniert. Ich glaube, es ist klar: Mit Wachstum und Reichtum und immer mehr Leistung kann die Klimakrise nicht bewältigt werden. Aber wie ein anderes System aussehen soll, das ist noch nicht ganz klar.
Gibt es in eurer Bewegung so etwas wie einen antikapitalistischen Flügel oder Leute, die sich innerhalb der Bewegung für Antikapitalismus einsetzen?
Leonhard: Wir haben definitiv Leute, die sich als antikapitalistisch bezeichnen würden und klar kommt es zu Grüppchenbildung, aber ich denke auch, dass wir uns innerhalb der Gruppe so gut verstehen, dass man nicht wirklich von Flügeln reden kann, sondern eher von Meinungen.
Lydia: Das würde ich auch sagen?…
Wie geht ihr mit den Meinungsverschiedenheiten um?
Lydia: Unterschiedlich. Im Plenum und privat regt
das oft Diskussionen an, bei denen man wirklich etwas lernt, ich lerne
jedenfalls immer sehr viel dadurch. Auf Demos werden auch oft
antikapitalistische Sprüche gerufen, aber weil es nicht in unserem
Konsens steht und wir uns nicht einig werden können, wird das bewusst
nicht von der Moderation oder dem Lautsprecherwagen gerufen. Wenn das
allerdings jemand in der Menge ruft, wird das nicht verboten.
Antikapitalismus
ist eine große Sache in der Klimagerechtigkeitsbewegung, aber Fridays
for Future hat einen anderen Fokus. Wir haben unsere Forderungen und ich
denke, es gibt viele Bewegungen, die sich stärker mit Antikapitalismus
auseinandersetzen und das auch gut machen.
Leonhard: Das mit dem anderen Fokus ist der zentrale Punkt, warum wir uns keinen Antikapitalismus auf die Fahnen schreiben. Denn uns geht es hauptsächlich um Klimaschutz, und natürlich ist das miteinander verbunden. Wir geben intern auch Raum für Diskussionen über Kapitalismuskritik und Überwindung des Kapitalismus. Wir haben ein ganzes Tagesplenum explizit diesem Thema gewidmet und darüber geredet, ob wir Kapitalismuskritik stärker in unsere Forderungen einbringen wollen. Ausschlaggebend dafür, dass wir das nicht tun, war, dass das nicht unsere Kernkompetenz ist.
Lydia: Und dass wir nicht wissen, was stattdessen.
Ich finde, das ist die große Frage. Für viele Menschen gibt es einfach
nur Kapitalismus und Kommunismus, und der Kommunismus war in seiner
Ausführung auch nicht so toll, die Theorie vielleicht, die Praxis aber
dann doch nicht. Also bleibt die Frage: Was dann? Es gibt da viele tolle
Ansätze und es muss jetzt darum gehen, sich zusammenzusetzen und neue
Ideen und neue Visionen zu formen.
Ich denke, wir brauchen etwas
komplett Neues. Das ist auch wichtig für Fridays for Future. Da haben
wir etwas wo wir sagen können, ihr müsst genau das und das tun. Wenn wir
jetzt aber sagen, wir sind antikapitalistisch, wir sind uns aber uns
nicht einig, was danach kommen soll, finde ich das schwierig.
Leonhard: Wir haben jetzt gerade die größte Verantwortung überhaupt in der Geschichte der Menschen. Wir von Fridays for Future sind zwar viele, aber wir sind immer noch zu wenige. Es ist die Aufgabe der Politiker und es sollte nicht der Job der jungen Leute sein, sich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen den Arsch aufzureißen, und ich bin enttäuscht, dass es notwendig ist. Ich hoffe, dass wir bald in einer Gesellschaft leben, in der wir nicht mehr auf die Straße gehen müssen und in der Klimaschutz Alltag ist.