Internationaler Streikaufruf zum 8. und 9. März 2020

Genossinnen, Schwestern, Feministinnen auf der ganzen Welt, die hier vereinten Kollektive schließen sich den verschiedenen Aufrufen an, die von Frauen, Lesben, Trans, Travesti, Bäuerinnen, Indigenen, Studierenden, Arbeiterinnen, Schwarzen kommen, damit wir an diesem 8. und 9. März aktiv werden, damit wir uns auflehnen und uns gemeinsame Strategien ausdenken, um die feministische Rebellion weiter anzufachen. Diese Rebellion, die ihren Anfang genommen hat und sich auf der ganzen Welt gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Besetzung und Plünderung erhebt.

von internationalen feministischen Kollektiven;
aus sozialismus.ch

Heute befinden wir uns weltweit vor einem historischen Scheitelpunkt, vor allem in Lateinamerika. Eine Zeit der Krise, in der sich Wege gabeln, die sich immer weiter voneinander entfernen. Einer, geprägt von der Bedrohung der extremen und neofaschistischen Rechten, die kommen, um den Neoliberalismus in seiner tödlichsten Form zu verfestigen. Eine neofaschistische Rechte, die eine rassistische, sexistische, lesben- , transfeindliche und misogyne Politik vertritt, die Letzten und Vorletzten gegeneinander ausspielt, die den Rassismus stärkt, der in den Anfängen der Kolonialzeit und des Patriarchats gesät wurde. Und an dieser Gabelung zeigt sich ein anderer möglicher Weg, erkennbar durch das, was eine feministische, plurinationale, transnationale und antirassistische Kraft im Schoß unserer Völker erschaffen konnte. Trotz der verschiedenen politischen und sozialen Bedingungen, sind wir vereint im Kampf gegen diese Gewalt und durch unseren Entschluss, sie zu beenden. Wir machen eine neue Politik für alle Ausgebeuteten*, die sich mit einem neuen Konzept des gemeinsamen Kampfes durch alle Teile der Gesellschaft wieder neu erschafft. Es ist die neuartige Möglichkeit, ein eigenes Programm und eine eigene Kraft zu erschaffen. Die Entdeckung von neuen Werkzeugen für den Protest, voller Ideen und historischer Erkenntnisse, die Früchte von wiedererlangten Erinnerungen der Politik des Vergessens sind. Die Erfahrung, die uns vereint hat und die uns eint, ist schon zu einer globalen Erfahrung geworden: Die destabilisierende Kraft unserer Mobilisierung gegen die patriarchale Gewalt hat alle Grenzen überwunden und vereint uns in einer riesigen Flut.

International gegen patriarchale Gewalt

An dieser Gabelung, an der wir uns befinden rufen wir uns herbei, um einen Prozess der Mobilisierung zu schaffen, der in alle Aspekte des Lebens eindringt. Um aus unseren Körpern und unseren Territorien heraus gegen den Anstieg der Gewalt zu rebellieren, die über diese ausgeübt wird. Um uns gegen die sexualisierte Gewalt aufzulehnen, die zugleich politische Gewalt ist. Wir lehnen uns auf gegen Militarisierung und die systematische Verletzung der Menschenrechte und der Freiheiten von Frauen, so wie es die Frauen im Nahen Osten und in Kurdistan seit der Zeit des historischen Widerstands in Rojava machen. Wir lehnen uns auf, um gegen die Angriffe auf unsere Körper zu rebellieren und für das Recht, über unsere Leben und unsere Körper zu entscheiden, für das Recht auf Abtreibung. Wir rebellieren, um auf die globale Pflegekrise zu antworten, auf den Anstieg der Verschuldung und der Gefangenschaft, auf direkte Formen der Plünderung, der Prekarisierung und der Verweigerung des Lebens selbst. In diesem Moment geht unsere kollektive, umarmende Unterstützung an die indigenen Frauen, Opfer des rassistischen und patriarchalen Putsches in Bolivien. Wir rebellieren gegen die rassistische und institutionelle Gewalt, um frei zu entscheiden, wohin wir gehen und wo wir bleiben wollen. Wir rebellieren, um unsere Fähigkeit zu bekräftigen, nein zu sagen, zu sagen, dass es genug ist: klar anzuzeigen, so wie wir es getan haben, im gleichen Rhythmus durch ein und denselben Tanz, der anklagt und unsere vielfältigen Biografien und ihre Merkmale miteinander verknüpft, wer die Politikerinnen und Politiker sind, die dieses Elend zu verantworten haben.

Für einen antirassistischen und antikolonialen Feminismus

Wir rufen uns herbei, um unsere Gebiete vom Extraktivismus wieder zurückzuerobern, auf den sich die kolonisatorischen Prozesse gründen, der sich überall auf der Welt zeigt und ausbreitet. An Kraft gewinnt der Extraktivismus durch die kriminellen und unsichtbaren Bündnisse von Patriarchat und Kapital, die sich im Grabenkrieg befinden. Sein Hauptziel sind die Freiheiten und Rechte der Frauen und Queers, und die Erfahrungen eines gemeinschaftlichen Lebens, die in unseren Territorien erwachen. Wir rufen uns herbei, um die verschiedenen miteinander verknüpften Strukturen, die das Patriarchat stützen, gemeinsam niederzureißen. Und dabei die lebensnotwendige Verantwortung, den Rassismus zu zerlegen, aufzunehmen, als einen der wichtigsten Pfeiler des modernen Kapitalismus, der noch immer ethnisierte Körper und Migrant*innen jeglichem Zugang zur Erlangung von Würde unserer Existenzen verwehrt. Mehr als 500 Jahre nach dem Beginn der Invasion und der Ausbeutung, der Abya Yala (indigener Name Lateinamerikas), Afrika und Asien unterworfen wurden. Wir Frauen und diversen Schwarzen Körper sind im Widerstand geboren und waren nie bloß Zuschauerinnen der radikalen Veränderungen, die wir brauchen, um das Leben zu leben, das wir wollen. Und auch dieses Mal wird keine Ausnahme sein. Es ist notwendig, den Feminismus Schwärzer zu machen, sein Schwarzsein anzuerkennen und sichtbar zu machen. Dem Feminismus Farbe zu geben, andere Existenzen und die vielfältigen Formen der Unterdrückung, die die Verschränkung der Farben hervorbringt, anzuerkennen und sichtbar zu machen: Schwarze, Indigene, Frauen, Queers für eine historische nachhaltige Wiedergutmachung.

Wir erkennen an, dass die patriarchale Gewalt verschiedene Formen hat und unterschiedlich heftig ist, aber wir erkennen auch an, dass unsere Fähigkeit, sie herauszufordern und abzuwehren umso größer ist, desto globaler unser Aufstand. Wir wissen, dass die Rebellionen, von denen wir Teil sind, die Hoffnung von Menschen auf der ganzen Welt beherbergen. Vom Süden kommend zeigen wir, dass Revolten doch existieren, dass sie doch die Strukturen die uns unterdrücken, ins Schwanken und dass sie doch die dominanten Erzählungen zum Einstürzen bringen. Neue Erzählungen brechen sich Bahn und stellen jene in den Vordergrund, die immer hinten gewesen sind, sie geben Frauen, Queers und den indigenen Gemeinschaften die Möglichkeit, Protagonistinnen ihrer Geschichte zu sein. Das zwingt uns, in einer Zeit, in der sich die Rechte mit faschistischem, fundamentalistischem und rassistischem Charakter im Aufschwung befindet, die erste Reihe einzunehmen, so wie die kurdischen Frauen in Rojava.

Solidarität mit den antikapitalistischen und feministischen Streiks

Heute, mehr als je zuvor, holen wir uns die erste Reihe zurück, eine erste Reihe, die sich selbst aus der Vielzahl der Facetten flechtet, die unsere Leben betrifft. Die große Bewegung, von der wir Teil sind, hat verschiedene Diskurse und Praktiken und antwortet auf die Bedürfnisse von allen unseren Gebieten, aber wir vertrauen in die Kraft, die die Charakteristik eines globalen feministischen Generalstreiks hat, der sich als kollektiver Prozess der Artikulation, der Politisierung, eines großen Sich-Näherkommens und eines Sich-Ausweitens, eines Einschreitens in die unterdrückenden Normalität versteht. Ein Streik, der die Unterbrechung aller Arten von Arbeit bedenkt, der über sein „produktives“ Verständnis hinausgeht, um jene Tätigkeiten ins Zentrum zu stellen, die das Leben erhalten. Wir wissen, dass die Feminismen sich heute als Alternative in den produktiven Großstätten und auch im ländlichen Raum und dem dort vorhandenen Wissen erheben, und daher rufen wir uns diesen 8. März in diesen unterschiedlichen Räumen auf. Wir rufen uns auf, alle Räume zu besetzen, besonders jene, die uns historisch verwehrt wurden. Sie einzunehmen und zu verändern, um vereint die Möglichkeit eines Lebens aufzubauen, das das kapitalistische und patriarchale Fiasko übersteigt, dem sie uns weiter unterwerfen wollen. Wir haben einen emanzipatorischen Prozess angestoßen, der einen grenzüberschreitenden Charakter hat, und in dem dieser 8. und 9. März ein wichtiger Meilenstein sein wird. Und wir wissen auch, dass es nicht der einzige sein wird. Wir machen weiter, wir flechten uns aneinander und rufen dazu auf, das Leben, das wir leben und träumen wollen, aufzubauen. Wir rufen uns, um weiter rebellisch zu sein, um den Wutausbruch der Völker und des feministischen und transfeministischen Kampfes weiterzukämpfen und zu vertiefen. Hoch leben Frauen, die kämpfen!

Unterzeichnerinnen:

Asociación Latinoamericana de Medicina Social – Ecuador | Coordinadora Feminista 8M, Chile | Coordinadora Feminista 8M, Maldonado – Uruguay | Disidentes Violeta – Ecuador | Encuentro de Organizaciones, Córdoba – Argentina | International Women Strike- EE.UU. | Movimiento de Mujeres de Kurdistán | Minervas Colectivo Feminista, Montevideo Uruguay | Mujeres por el cambio – Ecuador | LevFem – Bulgaria | Negrocentricxs – Chile | Ni una menos Soriano – Uruguay | NiUnaMenos Argentina | Non Una Di Meno – Italia | Nómadas Comunicación Feminista, Puel Mapu – Argentina | Portal Catarinas | Red Feminista Maldonado – Uruguay | Red Lesbofeminista RM, Chile | Resonancia Feminista – Paysandú, Uruguay | Ruda Colectiva Feminista – Ecuador | Secretaría de Mujeres Migrantes – Chile | Serendipia Sobre ruedas- cicloviajeras | Territorios de Libertad – Ecuador | Toutes en Grève 31 – Toulouse – France | Juntas y revueltas, Las Cabras.Chile

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Zwischentitel durch die Redaktion gesetzt. Das Foto zeigt die feministische Performance «El violador eres tu» (Der Vergewaltiger bist du) in Santiago de Chile, welche von dort aus um die Welt ging.

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