Mit marktwirtschaftlichen Methoden die Folgen der Marktwirtschaft bekämpfen?

von Thies Gleiss;
aus Sozialistische Zeitung, September 2019

Die Debatte über die Möglichkeit, die zerstörerischen Auswirkungen der kapitalistischen Produktionsweise auf Klima und Umwelt mit marktwirtschaftlichen Mittel und Methoden aufzuhalten oder gar zurückzudrängen, läuft schon sehr lange. Der Autor hat dazu bereits vor 31 Jahren im Magazin der Sozialistischen Zeitung vom Dezember 1988 einen längeren Artikel veröffentlicht, der noch immer aktuell ist.*
Die kapitalistische Produktionsweise hat die charakteristische Tendenz, die Eigentumsverhältnisse und den Arbeitsprozess immer stärker zu zentralisieren. Eine kleine Gruppe von weltweit aktiven Konzernen bestimmt heute die Produktion und das Leben von Milliarden von Menschen. Gleichzeitig wohnt dem Kapitalismus die zweite Tendenz inne, vorgefundene naturgegebene, ökologische, aber auch historische und sozial-kulturelle Zusammenhänge auseinanderzureißen, zu parzellieren, um damit einen isolierten Vorgang, ein einzelnes Produkt in eine Ware zu verwandeln und als Geschäftsgrundlage zum Erzielen eines Profits zu nehmen.
Alle Faktoren, die bei dieser Inwertsetzung und Verwertung stören – Abfall, Abgase, Abraum, Belastung von Umwelt und Klima, soziale Verwerfungen, historische und kulturelle Traditionen –, werden, mal mehr, mal weniger erfolgreich, externalisiert, d.h. sie werden der Allgemeinheit als soziale Kollateralkosten der vorherrschenden Produktionsweise aufgehalst.
Seit langem diskutiert die bürgerliche Volkswirtschaft, ob und wie es möglich ist, diese frech ausgelagerten und fremden Leuten aufgehalsten Kosten wieder zu internalisieren, ohne die grundlegende Eigentumsordnung und Produktionsweise des Kapitalismus in Frage zu stellen.
Der naheliegende Gedanke wäre, dass gemäß dem Verursacherprinzip die für die klima- und umweltschädlichen Hinterlassenschaften ihrer Produktion und Produkte verantwortlichen kapitalistischen Konzerne aufkommen müssen und dass schädliche Produktion und Produkte mit ordnungspolitischen Maßnahmen begrenzt und beendet werden müssen. Das jedoch wäre Antikapitalismus pur und würde das Primat der Politik gegenüber der Ökonomie bedeuten, weil es nur mit Produktionskonversion, Verboten, politischen Investitionskontrollen und Planwirtschaft umzusetzen ist. Dagegen laufen die Unternehmen seit mehr als vierzig Jahren Sturm, die unternehmerische Freiheit darf nicht angetastet werden – das ist das oberste Gebot des Kapitalismus.

Der Preis ist politisch
Da jedoch die Zerstörung der Umwelt und vor allem des Klimas eine immer größere Gefahr für die gesamte menschliche Existenz bedeuten, die zwar, wie seit Jahrzehnten zu beobachten, in erster Linie die armen Menschen, die Unterklassen und die arm gehaltenen Länder zu verschlechterten Lebensbedingungen zwingen, aber dennoch auch die Oberklassen und ihre Kinder belasten, muss auch aus prokapitalistischer Sicht etwas getan werden.
Eingefallen ist der kapitalistischen Ökonomie dafür nur die Festsetzung von Preisen für die Umweltverschmutzung. Der Ausstoß von schädlichen Emissionen wie Kohlendioxid, Stickoxide und Methan soll pro Tonne Emission einen Preis erhalten. Das Recht zur Klima- und Umweltzerstörung soll auf einem Markt eingekauft werden, und wenn ein solches Zertifikat nicht oder nicht mehr benötigt wird, kann es auch an andere MarktteilnehmerInnen verkauft werden. Die Bereiche, die mit solchen Zertifikaten nicht reguliert werden können, sollen mittels Steuern auf bestimmte Emissions- oder Abwassermengen zu ökonomischen Größen werden, die in die unternehmerische und die volkswirtschaftliche Kalkulationen Einkehr finden können.
Soweit die Theorie, die ursprünglich auf eine große Anzahl von Stoffen angewandt werden sollte, was die Anhänger eines «grünen Kapitalismus» auch noch heute unverzagt propagieren.
In der Praxis gibt es Abgaben auf Abwasser und laut Weltbank in 56 Staaten Versuche mit Steuern auf die Emission von CO2 und Stickoxiden. Gleichzeitig gibt es in der EU und in einigen anderen Sektoren des Welthandels einen Zertifikatshandel mit dem Recht auf CO2-Emissionen, der für große Rohstoff- und Energiekonzerne verpflichtend ist.
Sowohl Ökosteuern als auch die CO2-Zertifikate haben gemeinsam, dass an ihrem Anfang eine politische, nicht am Markt entstandene, Festlegung steht, was eine Tonne CO2 als Ausgleichszahlung kosten soll. Umweltexperten sagen, das müssten heute mindestens 180 Euro pro Tonne sein, das spielt aber keine Rolle, weil «die Politik» weltweit den Interessen des Kapitals untergeordnet ist, und die verlangen «politisch niedrige» Preise für Zertifikate oder als Berechnungsgrundlage der CO2-Steuer. So sind für die Ökosteuer heute 35 oder 40 Euro im Gespräch, so wenig, dass selbst die Unternehmerverbände – die FDP neuerdings auch – sagen, über eine solche Steuer könne geredet werden. Nur noch die CSU ist gegen die CO2-Steuer (vielleicht, weil sie mit ihrer besonderen Umweltsteuer, der Autobahnmaut, gerade eine Bauchlandung vollzogen hat).
Die Zertifikate in der EU wurden anfangs im großen Stil kostenlos verteilt und sind heute so billig, dass sie keine Auswirkungen auf die Produktion und deren Emissionen hat, sondern nur ein kleines Zusatzspielzeug für Spekulanten und Betrüger geworden ist.
Falls der «politische Preis» trotzdem zu hoch sein sollte, kennen sowohl Zertifikatshandel als auch Emissionssteuern viele Ausnahmen und Umgehungsmöglichkeiten, so dass der alte Unternehmerspruch «Steuern kann man steuern» volle Gültigkeit behalten hat.
Etwas erfolgreicher (so erfolgreich, dass es zurückgedreht wurde) war das Erneuerbare-Energie-Gesetz der SPD-Grünen-Regierung 1998–2002, das genau andersherum versuchte, die erneuerbaren Energien mit Garantiepreisen in den Markt mit fossilen Energien hineinzuzwingen.

Einkommensschwache werden belastet
Die Emissionen und die tatsächliche Umwelt- und Klimazerstörung wurden in den letzten vierzig Jahren in keiner Weise durch Ökosteuern und Zertifikatshandel reduziert. Die Pariser Klimaziele wurden durch marktwirtschaftlich konforme Methoden nicht erreicht und weitere werden nicht erreicht werden.
Generell gilt, dass Ökosteuern und Zertifikate – zumal dann, wenn die politischen Preise so niedrig gehalten werden – wenn überhaupt nur sehr langsam das Verhalten der Marktteilnehmenden verändert – ein Tempo, das in keinem Verhältnis zur Dringlichkeit schnell wirkender klimaschützender Maßnahmen steht.
Überhaupt nicht wirksam sind diese marktwirtschaftlichen Methoden des Klimaschutzes, wenn es um grundlegende Produktionsänderungen oder um den Abbau von Altlasten geht. CO2-Steuer und Zertifikate sind klassische «End-of-the-pipe»-Maßnahmen, die nur die Folgen, nicht aber die kapitalistische Produktion selber verändern können und sollen.
Es gibt also keine praktische Wirksamkeit von Ökosteuern und Zertifikaten für den Klimaschutz, aber es gibt die bekannten praktischen Auswirkungen für die einzelnen VerbraucherInnen. Alle von einer bürgerlichen Umweltpolitik auferlegten Abgaben, Steuern und Zertifikatskäufe werden auf den Verkaufspreis draufgeschlagen und von der Masse der Konsumierenden bezahlt. Also von denen, die am wenigsten etwas für Klimazerstörung können und die auch keine individuelle Konsumalternative haben.
Linke Politik sollte also sehr traditionsbewusst, wie schon die SPD in ihrem Erfurter Programm von 1891, weiterhin das Ziel verfolgen, alle indirekten Steuern abzuschaffen. Sie werden vor allem von der Masse der Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen getragen, die ihre gesamten Einnahmen für den Konsum ausgeben müssen. Das betrifft die allgemeine Mehrwertsteuer (deren Erhöhung für einzelne Produkte jetzt ja ebenfalls diskutiert wird), aber auch alle Verbrauchs- und Ökosteuern.
Linke Klima- und Umweltpolitik sollte nicht den Umweg über marktwirtschaftliche Methoden gehen, die nicht wirken, sondern direkt ordnungspolitische Maßnahmen ergreifen, die verantwortungslose, klima- und umweltzerstörende Produktionen stilllegen, Konversion für schädliche Produkte organisieren und den sozialen und finanziellen Ausgleich für alle betroffenen Beschäftigten sicherstellen. Gleichzeitig müssen gesellschaftliche Alternativen im Verkehrs- und Energiebereich und in der Grundstoffindustrie vorangetrieben werden. Dabei ist es seit ebenfalls mehr als vierzig Jahren offenkundig, dass dies nur klappen wird, wenn die Macht der privaten und quasiprivaten Unternehmen gebrochen wird und planwirtschaftliche Elemente und vergesellschaftete Unternehmen zur Regel werden.

*Neu ediert hier nachzulesen: https://thiesgleiss.wordpress.com/2019/08/11/umweltkrise-und-kapitalismus-geld-kann-nicht-schoener-werden-nur-mehr/.

Thies Gleiss ist Mitglied im Parteivorstand der LINKEN in Deutschland und Sprecher der Strömung Antikapitalistische Linke. Thies Gleiss trat an unserer Konferenz Gegen die EU der Banken und Konzerne –
für ein demokratisches, solidarisches und ökologisches Europa der Lohnabhängigen!
am 15. September 2018 als Redner auf.

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